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Café Eden - Roman mit Rezepten

Titel: Café Eden - Roman mit Rezepten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Kalpakian
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Erziehung
    Im Gegensatz zu ihrem leichtfüßigen Sohn war Stella March die Schwerkraft. Der Schmerz gehörte für sie zum Leben dazu, und Veränderungen betrachtete sie mit düsteren Blicken. Sie war eine kleine, kugelrunde Frau mit dunklen Schatten um die Augen, die ihr Sohn von ihr geerbt hatte. Sie schminkte sich nie und benutzte noch nicht einmal Lippenstift. Ihr Mangel an Eitelkeit war ein Akt der Buße. Stella trug immer Schwarz oder Grau, seit sie 1944 Witwe geworden war. Eigentlich hatte sie erwartet, mehr zu leiden, als Nico starb. Und natürlich trauerte sie auch um ihn, aber da sie sowieso eine gläubige, ernste Person war, machte es kaum einen Unterschied.
    Sie hatte Nico Marchiani und seinen Bruder Ernesto in der Wohnung ihrer Familie in New York Citys Little Italy kennengelernt. Ihr Bruder Alberto hatte sie eines Abends zum Essen mitgebracht. Sie aßen mit Appetit. Sie redeten und lachten. Sie arbeiteten auf der gleichen Baustelle wie Alberto und waren alle Sozialisten. Stellas Mutter machte eine Bemerkung über Ernestos Schönheit.
    Aber trotz seines guten Aussehens fühlte Stella sich nicht zu Ernesto hingezogen. Für sie kam vom ersten Augenblick an nur Nico infrage. Und als Nico ihre marmorweiße Haut, ihre dunklen Augen mit den schweren Lidern und ihre üppigen Haare sah, war es um ihn geschehen. Als gutes katholisches Mädchen ließ sich Stella nur einen winzigen Kuss abringen, damit Nico Marchiani wusste, wie ernst es ihr war. Schon damals nahm sie alles ernst. Aber sie war auch schüchtern und nachdenklich.
    Als der Winter kam, war es den Brüdern Marchiani in New York zu kalt, und das Gespräch kam auf einen Cousin oder Nachbarn aus Poggibonsi in Los Angeles, der ihnen Arbeit besorgen konnte. Er hatte eine Wohnung über seiner Garage. Sie warteten bis zum Frühjahr, dann fuhren die Marchianis mit dem Zug nach Wichita und von dort per Anhalter weiter nach Los Angeles.
    Nico schrieb oft aus Kalifornien. Stella antwortete. Er und sein Bruder hatten eine gute Arbeit bei Lesley Markowitz gefunden. Hatte Stella jemals ein Bild von Lesley Markowitz gesehen?
    Daraufhin ging Stella extra ins Kino, um sich eine Kulisse von Lesley Markowitz anzuschauen. Sie schrieb Nico zurück, sie habe weder ihn noch Ernesto in dem Film gesehen.
    Nico antwortete, sie seien keine Schauspieler. Sie bauten die Kulissen für Markowitz. Ob sie nicht bitte mit dem Zug nach Los Angeles kommen und ihn heiraten wolle? Er liebte sie. Er würde ihr ein guter Ehemann sein. Sollte er an ihren Vater schreiben?
    Stella dachte darüber nach, während sie in der Nähe der elterlichen Wohnung Wäsche faltete und bügelte. Wenn es nicht zu heiß war, wie im Sommer, dann bügelte Stella gerne. Sie fand es beruhigend, und man sah immer, was man geschafft hatte. Das Bügeleisen war eindeutig. Sie würde ihn heiraten.
    Als sie mit Nico verheiratet war, dachte Stella, Ernesto würde ausziehen, aber davon war nie die Rede. Als Ernesto als Schauspieler gutes Geld verdiente, zogen sie alle drei in eine Villa an die Wets Adams. Stella, die in New York City geboren und aufgewachsen war, blieb immer ein Stadtmädchen und liebte dieses Haus. Sie konnte zu Fuß in die Kirche gehen. Agua Verde liebte sie nicht. Dort war es zu ruhig, und es gab keine Kirche in der Nähe. Keine Straßengeräusche. Sie litt.
    Aber Leiden gehörte zu ihrem Leben, und Stella akzeptierte es. Damit kannte sie sich aus. 1922 kam eine Nachricht von ihrem Priester in New York. In dem Haus, in dem ihre Familie lebte, hatte eine Gasexplosion stattgefunden, und alle waren umgekommen. Von ihren drei Schwangerschaften waren zwei Totgeburten, aber das dritte Kind, Matteo, lebte. Sie sagte zu Gott, sie sei mit einem Kind zufrieden und würde nicht um mehr bitten. Sie wolle Seine Geduld nicht zu sehr auf die Probe stellen. Sie versprach Gott, wenn Matteo am Leben bliebe, wolle sie sich ganz der Kirche widmen und auch ihren Sohn der Kirche schenken. Und das tat sie, indem sie Matt mit sechs Jahren nach St. Ignatius schickte.
    Ohne den Jungen hielten sich die drei Erwachsenen in Agua Verde in streng getrennten Bereichen auf. Stella war eine tief gläubige Katholikin. Ernesto kochte und spielte dabei auf dem Grammofon, das er in der Küche aufgebaut hatte, Opernplatten ab. Nico spekulierte mit Ernestos Geld, solange es da war, an der Börse. Dann kamen fast gleichzeitig der Börsenkrach und die

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