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Café Eden - Roman mit Rezepten

Titel: Café Eden - Roman mit Rezepten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Kalpakian
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Schmuckstück. Sie war eine große, strenge Gestalt, eine Frau, die früher vielleicht einmal attraktiv gewesen war. Jetzt war sie nur noch beeindruckend. 1900 war sie als Witwe mit einem Haufen vaterloser Kinder, auf die Wohltätigkeit ihres verhassten Schwagers Art Whickham angewiesen, nach St. Elmo gekommen.
    Um sich von diesen Zwängen zu befreien, erinnerte Ruth sich an ihre Fähigkeiten als Köchin. Damals konnte sie zwar noch nicht so exzellent kochen, aber sie hatte hervorragende Instinkte und einen angeborenen Sinn für Anstand. Nach der Gründung des Pilgrim Restaurants sorgte Ruth schnell für zufriedene Kunden, bezahlte ihre Angestellten gut und achtete auf einen hohen Standard.
    Als sie 1915 über eine Anzeige in der Lokalzeitung einen neuen Koch suchte, bewarben sich nur wenige Leute. Und diese wenigen waren nicht geeignet. Deshalb überraschte es Ruth auch, als eines Morgens ein Chinese zu ihr kam, der die Stelle haben wollte. Als sie ihn nach seinem Namen fragte, sagte er, man nenne ihn Napoleon, und er habe in der Küche der französischen Gesandtschaft in Schanghai kochen gelernt. Er war bereit, sich prüfen zu lassen, und wollte einen Tag lang ohne Bezahlung kochen. Napoleons Verhalten gefiel Ruth. Ein anderer Arbeitgeber hätte vielleicht gefragt, was ihn nach St. Elmo geführt hatte, aber Ruth war nicht an seiner Vergangenheit interessiert. Sie wollte nur wissen, ob seine Kochkünste ihrem Standard entsprachen.
    Napoleon machte seine Sache an jenem Tag gut, und auch an allen anderen Tagen in den nächsten zwanzig Jahren. Napoleon las und sprach Englisch, Französisch und Chinesisch. Er war schweigsam und humorlos, aber das war Ruth egal. Sie hatte ihn nicht wegen seines Charmes engagiert. Er kochte so gut, dass der Ruf des Pilgrims bis an die mexikanische Grenze drang. Viele Leute stiegen in St. Elmo aus und setzten ihre Reise erst fort, wenn sie im Pilgrim Restaurant gegessen hatten. Napoleon blieb bis zum Ende im Pilgrim. Dann verschwand er.
    Nachdem sie Napoleon eingestellt hatte, überließ Ruth die Küche seinen fähigen Händen und setzte sich an die Kasse. Sie begrüßte die Gäste, führte sie zu ihren Tischen, machte den obligatorischen Small Talk und gab ihnen das Geld heraus, wenn sie ihre Rechnungen bezahlten.
    Zunehmend arbeiteten Chinesen bei ihr. Als es offene Stellen im Pilgrim gab, schlug Napoleon vor, dass Mrs. Douglass seine Vettern einstellen solle. Vielleicht waren sie tatsächlich mit ihm verwandt, vielleicht aber auch nicht, auf jeden Fall herrschte er in der Küche wie der Kaiser über sie, nach dem er benannt war. Ruth fand sie alle absolut geeignet, und sie amüsierte sich insgeheim über die Empörung der Honoratioren von St. Elmo, die ihr sagten, es sei gefährlich, den Chinesen so hohe Löhne zu zahlen.
    Das Restaurant war außergewöhnlich erfolgreich, aber das war nicht ihre größte Leistung. Ruth Douglass hatte ihr Leben so eingerichtet, dass sie niemandem Rechenschaft ablegen musste, und schon gar nicht einem Mann. Das konnten nicht viele Frauen von sich behaupten. Als ob es ein Rezept für alles gäbe, hatte Ruth sich aus unwahrscheinlichen Zutaten Unabhängigkeit geschaffen. Und falls es sie mehr gekostet hatte, als sie dafür zu zahlen bereit war, so sagte sie es nicht.
5
    E ine Dame mit eigenem Geld konnte tun, was sie wollte. Die Stelle gab Kitty Douglass mehr als Geld, sogar mehr als Unabhängigkeit. Als Kassiererin im Pilgrim fand Kitty ein völlig neues Publikum für ihr theatralisches Talent, das belebender war als Tonic.
    Die Männer, die ins Pilgrim kamen, waren natürlich alle äußerst galant zu ihr, während die Frauen eifersüchtige alte Schachteln waren.
    Wenn sie beim Bezahlen Komplimente machten, errötete Kitty und tat so, als habe sie mit ihren eigenen zarten Händen das köstliche Mahl zubereitet. Nein, leider könne sie das Rezept für die berühmten Feigen Napoleon nicht weitergeben; einer ihrer Vorfahren habe es aus dem spanisch-indianischen Krieg mitgebracht, und es sei mit einem Fluch belegt, falls es jemals außerhalb der Familie verbreitet würde.
    Dem begabten Napoleon gegenüber erwähnte Kitty das Lob der Gäste nie. Napoleon und seine Verwandten nahmen Kitty ihr angeberisches Benehmen übel, warteten jedoch schweigend den richtigen Zeitpunkt ab und verbündeten sich insgeheim gegen sie.
    Und dann kam

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