Cagot
Englisch. Tafel oder Windhoek?«
»Ahm.« David errötete leicht. »Ein Tafel, würde ich sagen.«
Amy beobachtete erstaunt die überschwänglich gröhlenden Deutschen. Sie winkte den Kellner, der sich gerade entfernen wollte, noch einmal zurück.
»Entschuldigung.«
»Ja, Miss.«
»Warum …« Sie sprach betont leise. »Warum sind die alle so gut drauf?«
Der Kellner zuckte mit den Achseln.
»Wahrscheinlich, weil heute Ascension Day ist. Nehme ich jedenfalls an.« Amy runzelte die Stirn.
»Christi Himmelfahrt? Das ist doch immer vierzig Tage nach Ostern. Also normalerweise im Mai.« Sie sah den Kellner verständnislos an. »Aber jetzt haben wir September.«
Der Kellner nickte.
»Nein, nein, nicht Jesus. Die meinen den Aufstieg Hitlers.«
32
Simon musste sich richtig zusammenreißen, um beim Lesen des Gästebuchs nicht in lauten Jubel auszubrechen. Davids Vater war hier gewesen. Er war eindeutig hier gewesen. Vor fünfzehn Jahren. Er hatte schon damals denselben Zusammenhang hergestellt. Er war demselben Geheimnis auf der Spur gewesen.
Der letzte Donnerschlag verhallte. Und mit ihm verebbte auch Simons Begeisterung. Dann war also Davids Vater, Eduardo Martinez, vor fünfzehn Jahren hier gewesen. Na und? Das hieß nicht, dass er auch etwas entdeckt hatte.
»Suchen ist finden?«
Warum das Fragezeichen dahinter? Was bedeutete es? Hätte Eduardo Martinez tatsächlich etwas gefunden, hätte er doch sicher geschrieben: Suchen ist finden. In Form einer Feststellung, ohne Fragezeichen. Andererseits, warum hatte er überhaupt etwas ins Gästebuch geschrieben? Er musste auf jeden Fall etwas gesucht haben. Es war kein Zufall, dass er in La Tourette gewesen war.
Simon war froh, als ein Summton zum klösterlichen Abendessen rief. Er war ebenso hungrig wie ratlos. Und er konnte weiterhin das unablässige Mantra seines Gewissens hören: Fahr nach Hause, fahr nach Hause, fahr nach Hause. Finde Tim, finde Tim, finde Tim.
Der raue Summton hatte das ganze Kloster zum Leben erweckt. Aus allen Ecken, aus der Kapelle, vom Dach, aus den Zellen und Gärten strömten Mönche und Pilger und Rückzugsuchende ins große Refektorium, um sich an dem langen Edelstahlbüfett mit Salat und Lammfleisch und offenem Wein aus der Region zu bedienen.
Leicht verlegen, fast wie am ersten Tag an einer neuen Schule, setzte sich Simon an den längsten Tisch mit den meisten Personen. Seine Scheu stand in krassem Widerspruch zu seinem Wunsch, an neue Informationen zu kommen. Und zwar schnell. Er hatte nur noch diesen einen Abend Zeit. Er wollte Wein trinken. Er trank Wasser. Zwischen den Gängen schickte er seiner Frau eine SMS: »Irgendwas Neues?«
»Nichts Neues«, simste sie zurück.
Am anderen Ende des langen Tischs saßen die Mönche. Einige von ihnen unterhielten sich mit Besuchern, andere blieben still und in sich gekehrt; ein bedrückt wirkender, kahlköpfiger Mönch Mitte sechzig unterhielt sich sehr lebhaft mit einem jungen blonden Mann, offensichtlich einem Besucher. Der alte Mönch trug wie seine Mitbrüder gewöhnliche Alltagskleidung; er trank auffällig viel Wein.
Simon unterhielt sich mit den Leuten, die in seiner unmittelbaren Umgebung saßen. Ein slowakischer Künstler auf der Suche nach Inspiration. Ein belgischer Zahnarzt, der eine tiefe Glaubenskrise durchlebte. Zwei dänische Studenten, die anscheinend aus Jux hier waren: das komische Kloster, das die Mönche in den Wahnsinn trieb! Eine Gruppe ernsthafter kanadischer Pilger. Gläubige.
Das Gewitter war weitergezogen; blaue und violette Dunkelheit breitete sich über die Hügel der Umgebung. Simon hatte aufgegessen und spürte, wie ihn die Verzweiflung packte. Die Zeit lief ihm davon. Er ließ den Kopf hängen, fühlte sich einsam, trank Kaffee.
Doch dann schnappte er einen Gesprächsfetzen auf: irgendetwas mit PiusX.
Weiterhin geradeaus vor sich hin starrend, rutschte Simon ein Stück in die Richtung, aus der diese Bemerkung gekommen war. Am Ende des langen Tischs, an dem er saß, unterhielten sich ein etwa vierzigjähriger Mönch und eine ältere Frau, eine Pilgerin. Amerikanerin, vielleicht auch Kanadierin. Er hörte mit.
»Bruder McMahon, unser Bibliothekar, ist jetzt schon acht Jahre hier.«
»Aha?«
»Wie gesagt, Miss Tobin, von seinem Vorgänger ging - wie soll ich sagen? - ein ziemlich schlechter Einfluss aus. Er war Mitglied der Piusbruderschaft, bevor sie alle exkommuniziert wurden.«
»Jetzt verstehe ich. Und wann war das? Als Sie noch als
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