Cagot
Lippen waren weggeschnitten, baumelten aber noch vom Gesicht, und in den brutalen Wunden war leuchtend rosafarbenes Fleisch zu sehen. Ihre Zunge war gespalten: Gegabelt stand sie aus dem Mund. Die Kehle war blutbespritzt, der längste Hautstreifen hing auf ihre Brust hinab. Trotz der vielfältigen und barbarischen Verletzungen war noch ein Ausdruck in ihrem Gesicht erkennbar, eine Grimasse entsetzlichen Schmerzes.
Simon spürte, wie er bei dem grauenhaften Anblick weiche Knie bekam. Es war schlimmer, als er erwartet hatte. Viel schlimmer. Aber er musste einen kühlen Kopf bewahren, seine Arbeit tun, Journalist sein. Er holte einen Stift aus der Tasche - um sich wieder zu beruhigen, musste er sich an etwas festhalten.
DCI Sanderson ging auf die Leiche zu und sah sich die Verletzungen am Hals aus nächster Nähe an. Auf den Brustkorb des Opfers war Blut gesickert, und aus der Haut war alle Farbe gewichen; der starke Verwesungsgeruch war kaum zu ertragen. Die Leiche müsste sehr, sehr bald weggebracht werden.
»Hey, Tomasky. Sehen Sie sich das mal an.«
Der polnische DS kam gehorsam näher. Simon unterdrückte seinen Abscheu und folgte - unaufgefordert - dem Beispiel des jungen Detective Sergeant.
Sanderson stieß einen leisen, fast anerkennenden Pfiff aus.
»Wieder sehr gekonnt gemacht. Eine weitere Garottierung.«
Simon folgte der Bewegung von Sandersons Stift. Er deutete auf mehrere dünne Striemen am Hals. Sie waren dunkel verfärbt und bestimmt schmerzhaft gewesen. Es war zwar etwas Blut ausgetreten, aber die Verletzungen waren minimal. Die Tötung war rasch, rücksichtslos und gekonnt erfolgt. Wie der DCI gesagt hatte. Doch die Folter davor hatte in ihrer Brutalität etwas Abartiges.
Dann fiel Simons Blick auf die Füße des Opfers. Irgendetwas an ihnen war eigenartig - höchst eigenartig sogar.
Simon wusste nicht, ob er es erwähnen sollte.
Sanderson hatte sich wieder aufgerichtet und sagte forsch: »Sie müssen sie nach Lerwick in die Pathologie bringen, oder?«
»Ja, wir fliegen sie heute Nachmittag aus. Haben sie sowieso schon zu lange hierbehalten. Aber wir dachten, Sie würden erst den Tatort sehen wollen, Detective. Wo er doch so … ungewöhnlich ist.«
»Irgendwelche Fingerabdrücke?«
»Nein. Auch keine Spuren eines Einbruchs - was aber auf Foula nichts heißt. Hier sperrt niemand die Tür ab. Keine Fingerabdrücke. Buchstäblich … nichts.« Er zuckte mit den Achseln.
Sanderson nickte abwesend.
»Ja, gut. Danke.«
Tomasky dachte laut. »O moj boze. Heilige Mutter Gottes. Das Gesicht.«
Sanderson riss sich von seinen Gedanken los. »Allerdings.«
Simon war ratlos - und entsetzt. Er musste immer noch an die Füße der Frau denken. Alles sehr eigenartig. Er drehte sich um.
»Die entscheidende Frage ist also … welcher Zusammenhang besteht zwischen dieser Frau und Francoise Gahets?«
Der DCI sah sich nachdenklich im Zimmer um. »So ist es. Wir haben uns mit dieser Frage bereits beschäftigt. Sie war doch ursprünglich aus der Gascogne. Oder, Hamish?«
»Richtig. Aus dem französischen Baskenland, aus der Gegend um Biarritz. Sie war noch sehr jung, als sie mit ihrer Mutter vor sechzig, siebzig Jahren hierherkam.«
Ein nüchternes Schweigen breitete sich aus; das Heulen des unaufhörlichen Winds von Foula und das Blöken der Schafe, das er mit sich trug, waren die einzigen Geräusche.
»Genug gesehen?«, fragte Leask.
»Fürs Erste ja«, antwortete Sanderson. »Wir werden natürlich mit ihrer Freundin sprechen müssen.«
»Edith Tait.«
»Morgen vielleicht?«
Der Shetland-Inspektor nickte und wandte sich Jimmy Nicholson zu.
Von der bisherigen Munterkeit des Piloten war nichts mehr übrig geblieben. »Sie war eine sympathische alte Lady. Kam nach dem Krieg auf die Insel, heißt es. Und jetzt sehen Sie sich das an.«
Er hob eine Hand an seine Augen und ging aus dem Zimmer.
Leask seufzte. »Foula ist so eine winzige Insel. Das ist den Leuten ganz schön unter die Haut gegangen. Machen wir einen kleinen Spaziergang.«
Er führte sie in die kalte, klare Luft hinaus. Jimmy Nicholson saß in seinem Auto und rauchte gierig eine Zigarette. Tomasky ging zu ihm, um ihm Gesellschaft zu leisten, aber Hamish Leask wanderte bereits in die entgegengesetzte Richtung, den nächsten Hügel hinauf. Er drehte sich um und rief über seine breite Schulter: »Steigen wir auf den Sneug! Irgendwie habe ich das dringende Bedürfnis, mal kräftig durchzulüften.«
Simon und Sanderson sahen einander an,
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