Cagot
sie heute Vormittag den Eckzahn eines Detective Sergeant ins Gesicht gebohrt bekommen haben. Behalten Sie diese Informationen also bitte vorerst für sich. Ich nehme mal an, Sie werden ein Buch schreiben, wenn das hier zu Ende ist, oder?«
Simon errötete.
»Ha.« Sanderson lachte leise. »Da sieht man’s mal wieder: diese Journalisten. Aber sehen Sie bloß zu, dass ich gut darin wegkomme. Eins fünfundachtzig groß. Stattliche Erscheinung. Markantes Kinn. Sie wissen schon. Und da wäre noch etwas. Nathan Kellerman, der jüdische Erbe dieser ganzen Diamantenmilliarden, hat sich mit Nairn angefreundet. Kellerman und Nairn haben anscheinend ausführliche Fachgespräche geführt, wenn Kellerman nach London kam, um zu sehen, was mit seinem Geld geschah.«
»Was soll daran so Besonderes sein?«
»Eigentlich nichts, außer dass es dabei vorwiegend um die Bibel ging.« Sanderson zuckte mit den Achseln. »Die Verfluchung Kanaans. Genesis Kapitel drei. Zhenrong hat manchmal an diesen Gesprächen teilgenommen, allerdings vorwiegend als Zuhörer.«
»Die Doktrin vom Samen der Schlange? Der Fluch Kanaans?«
»Ja. Dieses ganze Zeug, das Ihnen Winyard erzählt hat. Ganz schön schräg, nicht?«
»Nairn und Kellerman haben sich also angefreundet… wie weit ging diese Freundschaft?«
»Also, schwul waren sie nicht, wenn Sie das meinen. Aber vor zwei Jahren fing Nairn an, regelmäßig nach Namibia zu fliegen.«
Inzwischen steckten sie in der Baker Street im Stau. Die Sonne war durchgekommen; auf der Straße wimmelte es von Menschen. Drei arabische Frauen in türkisen Hidschabs gingen mehrere Schritte hinter ihrem Ehemann - der Jeans und eine Baseballkappe trug.
»Aha. Und?«
»Es ist nicht gerade billig, dorthin zu fliegen. Namibia liegt nicht gerade um die Ecke. Und Nairn war nicht reich.« Simon sah die Logik dahinter. »Kellerman hat ihm die Flüge gezahlt!«
»Richtig. Wir sind ziemlich sicher, dass er für die Kosten aufkam, weil Nairn in drei Jahren mehrere Male nach Namibia geflogen ist. Und er hat niemandem erzählt, was er dort machte.«
»Urlaub?«
Sandersons Miene verdüsterte sich. »Ein bisschen weit, um surfen zu gehen.«
»Sie glauben, dass er auch jetzt in Namibia ist, sehe ich das richtig?«
Der DCI lächelte mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit. »Ja, das glaube ich. Ich habe ihm sogar zu schreiben versucht, unter seiner E-Mail-Adresse. Ich wollte sehen, ob ich ihn aus der Deckung locken, ihm von dem Fall erzählen kann. Falls er tatsächlich dort unten ist, ruft er wahrscheinlich weiterhin seine Mails ab. Nehme ich jedenfalls mal an.«
Simon setzte sich zurück, und Sanderson gestand; »Viel ist allerdings nicht dabei herausgekommen. Ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Was soll ich sagen? Aber wenigstens bin ich bei Tomasky vorhin noch rechtzeitig gekommen - gerade noch.«
Das müde Lächeln des Polizisten war aufrichtig und warm. Simon fühlte sich etwas besser. Dann musste er an Tomaskys Gesichtsausdruck denken. Die geifernde Wut. Den Fanatismus. Er fühlte sich sofort wieder schlechter.
Während der restlichen Fahrt zu New Scotland Yard war Simon sehr still. Bei der Vernehmung war er wortkarg; und als er schließlich nach Hause kam, Suzie an sich drückte und Conor mit wild entschlossener Vaterliebe in eine Umarmung zog, die ihm das Herz und seinem Sohn fast die Rippen brach, verstummte er vollends.
Die gedrückte Stimmung blieb wie ein unerwünschter Besuch, der nicht mehr gehen wollte, oder wie die Blutflecken, die sich nicht aus dem Boden in der Diele entfernen ließen, auch wenn er ihn noch so oft abziehen und neu einlassen würde. Simon war niedergeschlagen und beunruhigt. Er beobachtete die fette Nachbarin, die ihre Wäsche aufhängte. Die fette schwarze Krähe, die durch den Garten hopste. Ein Polizist war bei ihnen eingezogen und schlief im Gästezimmer. Sein Funkgerät begann zu den unmöglichsten Zeiten laut zu summen. Er hatte eine Pistole. Er las Fußballzeitschriften.
Währenddessen stellte Simon Recherchen über katholische Sekten und polnische Skinheads an. Er trank zu viel Kaffee und informierte sich über Genforschung. Er mailte David Martinez in Frankreich und erhielt ein paar Nachrichten. Die Mails waren hochinteressant und aufschlussreich, aber sie verstärkten auch seine Gefühle von Gefährdung und Schuld. Simon hatte ein schlechtes Gewissen, dass er der Polizei von David Martinez erzählt hatte, denn David und seine Freundin - Amy - trauten der Polizei nicht und
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