Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
konnte!
Vielleicht sollte sie etwas trinken, um ihre Nerven zu beruhigen. Während sie zu dem Tisch mit den Getränken ging, strich sie sich über den Rock. Sie wünschte, sie hätte auf Helena gehört und sich ein neues Gewand bestellt, statt nur ein bisschen Spitze an ihr einziges gutes Kleid zu nähen. Abigail wusste jedoch immer einen besseren Verwendungszweck für ihr Geld und ihre Zeit; für Modisches fehlte ihr der Sinn. Doch jetzt, mitten in dieser Gesellschaft, merkte sie, dass das ein Fehler war. Sie sah aus wie eine arme Verwandte, wie eine altjüngferliche Tante vom Lande.
„Miss, Sie haben etwas fallen lassen.“
Abrupt blieb Abigail stehen, als sie die volltönende Stimme vernahm. Ihre Schultern verspannten sich, und ein heißer Schauer lief ihr über den Nacken. Langsam drehte sie sich um und sah sich einem ungewöhnlich groß gewachsenen Fremden gegenüber. Ein schneller Blick zeigte ihr kalte, eisgraue Augen, sonnengoldenes Haar, ein Gesicht, das von harter Erfahrung gezeichnet war, und einen Mund, auf dem das spöttischste Lächeln lag, das sie jemals gesehen hatte.
Das war er - der Mann aus dem Garten! ,Ach Jamie, Jamie ...‘ Der Mann, der die Schwester des Präsidenten verführt hatte, hielt Abigail nun das Taschentuch entgegen, als wäre es ein toter Vogel.
Sie errötete bis unter die Haarwurzeln und riss ihm das Stückchen Stoff aus der Hand. „Danke“, murmelte sie und wünschte, sie könnte sich irgendwo verstecken.
„Keine Ursache“, erwiderte er mit einer tiefen und weichen Stimme, die sie für einen Augenblick ganz gefangen nahm.
,Ach Jamie, Jamie ...‘
„Ja, dann ..." Abigails Mund war trocken, und ihre Wangen glühten. Zwanglose Gespräche mit Fremden fielen ihr ohnehin schwer genug; und in diesem Fall handelte es sich zudem um einen fremden Mann, den sie eben beim Liebesspiel mit der Schwester des Präsidenten beobachtet hatte. „Ich ... nun ... ich fragte mich schon, wo ich es gelassen hatte.“
„Nun, jetzt wissen Sie es.“ Ein unverschämtes Lächeln lag auf seinem Gesicht, und in seinen kalten Augen erkannte sie deutlich, dass er ganz genau wusste, wer sie war und was sie gesehen hatte.
Und was sie während ihrer Beobachtung gefühlt hatte.
„Dafür habe ich Ihnen zu danken“, erwiderte sie rasch. „Und nachdem ich es nun getan habe, muss ich gehen.“
Er räusperte sich. „Miss, Sie sollten das Taschentuch vielleicht benutzen, um sich ..." Mit dem Zeigefinger deutete er auf ihren Wangenknochen.
Oh Himmel! Sie rieb über die Stelle, sah dann auf das Taschentuch und fand darin den gelben Blütenstaub aus dem Brautstrauß. Sie zwang sich, zu dem Mann hochzuschauen. „Noch irgendwo?“
Er nickte und stellte sich so hin, dass die anderen Gäste sie nicht sehen konnten. Dann hob er einen Finger an sein eigenes Gesicht und deutete auf zwei weitere Stellen. Abigail rieb schnell über ihre Wangen, bis er zustimmend nickte. „Sehr viel versprechend“, bemerkte er.
„Nun, also dann.“ Sie knickste unbeholfen. „Auf Wiedersehen.“ Abigail erkannte, dass dieser Mann es geschafft hatte, aus ihr in wenigen Minuten eine Vollidiotin zu machen. Sie musste hier verschwinden, bevor noch jemand etwas davon merkte. Das Taschentuch steckte sie unter ihre Gürtelschärpe und entfernte sich. Immer noch kämpfte sie darum, ihre Unruhe in den Griff zu bekommen, als sie sich plötzlich dem einzigen Menschen gegenübersah, den sie noch lieber anschaute als die Sterne.
Leutnant Boyd Butler III.
Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war er ein Junge mit kurzen Hosen und dürren Beinen gewesen, der sie mit feuchten Händen angefasst und sich mit ihr durch die Tanzstunde gequält hatte. Selbst damals fand sie ihn schon großartig und ungeheuer galant. Dann war er auf die Schule gekommen, und sie hatten sich aus den Augen verloren. Jetzt war er zurückgekehrt, und die Jahre auf der Marineakademie hatten einen prächtigen Mann aus ihm gemacht. Heute traf sie ihn zum ersten Mal auf einer Gesellschaft und war entsprechend aufgeregt.
„Miss Cabot.“ Der Sohn des Vizepräsidenten verneigte sich. „Ich gestehe, Sie haben mich überrascht.“
„Guten Abend, Leutnant Butler.“ Sie warf einen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob der Fremde ihr gefolgt war, doch er war glücklicherweise in der Menge verschwunden.
Wie es von ihr erwartet wurde, bot sie Boyd Butler die rechte Hand. Zu spät erinnerte sie sich, dass sie sich die Handschuhe draußen an der Brüstung
Weitere Kostenlose Bücher