Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
grob.“
„Und dass Sie meiner Schwester vorwerfen, sie ..."
„Ich werfe ihr gar nichts vor. Im Übrigen bestätigten Ihre geröteten Wangen nur meinen Verdacht.“
„Ich erröte nur, weil mich Ihre widerlichen Andeutungen und Ihre Ausdrucksweise beleidigen.“
„Beleidigt sollten Sie nicht sein, doch erröten Sie nur weiter. Das kleidet Sie ungemein.“
„Versuchen Sie nicht, mich mit unaufrichtigen Schmeicheleien durcheinander zu bringen!“
„Mein liebes Kind, selbst eine Schmeißfliege könnte sie durcheinander bringen. Das mag ich ja gerade an Ihnen, Abby. Sie bemerken einfach alles.“
Abigail wusste nicht, ob das ein Kompliment sein sollte, doch glücklicherweise brauchte sie auch nichts zu erwidern, denn sie erreichten das Ende der Stallungen und traten in den Kutschhof hinaus.
Bester Laune und mit ihrem Vater an seiner Seite fuhr der ältere Mr. Calhoun in einem kleinen offenen Pferdewagen vor. Sie hielten unweit der Eichen, die sich von dem Spätherbsthimmel abhoben. Vater sieht heute großartig aus, dachte Abigail. Mit seinem Tweedanzug und den hohen Stiefeln ähnelte er einem Landedelmann. Er schien den Besuch zu genießen, und sein Vergnügen an Jamies Heimstatt bereitete ihr heimliche Freude.
„Hallo, Vater. Hallo, Mr. Calhoun!“ rief sie. „Wir haben gerade Ihre Zuchtfarm bewundert. Sie müssen sehr stolz darauf sein.“ „Das bin ich in der Tat, Miss Cabot.“
„Hallo, Abigail. Helena!“ rief Vater. „Komm doch zu uns in den Wagen. Du wirst ja von dem vielen Herumlaufen zu müde.“ Abigail fühlte Jamies Blick, doch sie achtete nicht weiter darauf. Der Senator widmete selbstverständlich Helena mehr Aufmerksamkeit und sorgte sich mehr um sie. Das war schon immer so gewesen, und es war auch richtig so. Abigail verursachte keinen Arger, sie war berechenbar und einfach zu handhaben. Helena war nichts dergleichen.
„Wir kommen schon, Papa.“ Helena hakte sich bei Professor Rowan ein. „Guten Morgen, Mr. Calhoun.“
Jamies Vater war von Helena ebenso hingerissen wie der Rest der Welt, was man ihm deutlich ansah, als sie ihn mit ihrem strahlenden Lächeln bedachte. Professor Rowan half ihr auf den Pferdewagen und nahm den Platz neben ihr ein.
In ihrem geschlitzten Reitrock sah Helena so fesch und so ländlich aus wie ihr Vater. Sie hatte darauf bestanden, dass die Schwester ebenfalls einen geschlitzten Rock trüge, den sie in einer alten Zederntruhe im Gästezimmer gefunden hatte, doch Abigail hatte geschworen, sie benötige keine Reitausstattung; aus persönlichen Gründen ziehe sie Kleidung vor, welche die Füße einer Frau nicht zeigte. Doch wie jedermann auf der Welt tat sie am Ende, was Helena wollte. Zum Glück reichte der Saum des geschlitzten Rocks bis auf den Boden und verbarg ihre Schuhe.
„Miss Abigail und ich werden unseren Rundgang zu Fuß fortsetzen.“ Jamie streichelte die samtweiche Nase des Kutschpferdes. „Dann braucht der arme Lord Byron auch nicht so viel zu ziehen.“
„Wie ihr wollt.“ Charles schlug mit den Zügeln. „Wir werden das Oval der Rennmeile inspizieren.“
Während der kleine Wagen zu der Rennstrecke an der Seeseite fuhr, streichelte Jamie geistesabwesend Abigails Arm und schien dabei gar nicht zu bemerken, dass er sie berührte. Unwillkürlich wurde sie an die vergangene Nacht erinnert.
„Macht Ihr Vater das immer so?“
Sie wich ein Stück zurück. „Was meinen Sie?“
Er schüttelte den Kopf. „Das wissen Sie doch genau. Ich vermute, so geht das schon seit Jahren.“
„Ich verstehe nicht ganz ..."
„Stellen Sie sich nicht dumm. Erstens steht Ihnen das gar nicht, und zweitens weiß es die ganze Welt besser.“
Abigail verzog das Gesicht, ging hinüber zum Koppelzaun und tat so, als wäre sie ungemein interessiert an dem, was Jeffries dort mit der störrischen Stute anstellte. Dass ihr Vater sie nicht weiter beachtet hatte, ärgerte sie weniger als die Tatsache, dass Jamie es mitbekommen hatte. Sie hielt sich an den Koppelstangen fest und hoffte inständig, er möge sie nicht zu einer Antwort drängen. Gott sei Dank verschonte er sie. Wortlos stellte er sich neben sie.
Wieder gingen Abigails Gedanken zurück zu jenem Moment auf dem Dach gestern Abend. Offenbar vermochte sie die Erinnerung daran nicht aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Seine Berührung, sein Kuss hatten sie verwirrt und überwältigt, und jetzt am hellen Tag war es auch nicht anders.
Wie konnte etwas so Einfaches wie eine Berührung eine derartige
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