Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
des Picknicks ins Tischtuch wickelte. „Sie sind ein Naturtalent.“
„So?“ Sie fasste an das Vorderteil ihres Nachtmantels; irgendwie hatten sich dort die Knöpfe gelöst. Rasch schloss sie sie wieder.
Jamie erhob sich, ohne Abigail die Hand zu reichen und ihr ebenfalls aufzuhelfen. Er drehte sich um und wandte sich zur Tür. „Bringen Sie die Decke mit, ja?“ bat er über die Schulter hinweg.
Abigail stand unbeholfen auf und schwankte ein wenig, bevor sie das Gleichgewicht wieder fand. Sie raffte die Decke zusammen und folgte ihm. Weshalb ist er denn jetzt nur so schroff? fragte sie sich; habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich zu kühn gewesen oder zu schüchtern? Er behauptete doch, ich sei ein Naturtalent...
„Mr. Calhoun?“
„Inzwischen sollten Sie mich vielleicht Jamie nennen.“
„Gern. Jamie ...“
„Still.“ Er blieb stehen, und sie stieß von hinten gegen ihn.
„Was ist denn?“
„Ich habe etwas gehört.“ Er stellte sein Bündel ab und trat ans Geländer. Sie folgte ihm und hörte ebenfalls Stimmen - das raue Flüstern eines Mannes und das Lachen einer Frau.
Abigail entdeckte die zwei Gestalten im Garten zuerst; barfuß und mit den Schuhen in den Händen schlichen Helena und Professor Rowan zum Haus.
„Was das Abenteuer betrifft, habe ich also richtig geraten“, stellte Jamie befriedigt fest und zündete die Lampe wieder an.
Noch benommen von dem Kuss, folgte Abigail ihm durch Dachboden und Kinderzimmer. Gedämpfte Geräusche von drinnen zeigten an, dass Helena bereits angekommen war.
„Gute Nacht, Abigail“, wünschte Jamie.
„Gute Nacht.“ Sie wandte sich zu ihrer Tür, drehte sich jedoch noch einmal um. „Jamie?“ Zwar fand sie es eigenartig, ihn mit seinem Vornamen anzureden, doch nach den Vorgängen auf dem Dach wäre es wohl noch eigenartiger gewesen, ihn Mr. Calhoun zu nennen.
„Was gibt’s?“
„Ich ... vielen Dank.“ Eigentlich wusste sie nicht genau, wofür sie ihm dankte - dafür, dass er ihr die Sterne gezeigt hatte? Für das Picknick? Für den Kuss? Für den müsste es ein anderes Wort geben, fand sie. Denn das kleine Wort beschrieb die langen, sinnlichen Geschehnisse auf dem Dach auch nicht annähernd. Und war sie eigentlich tatsächlich dankbar dafür?
Jamie lächelte ihr vergnügt zu. „Keine Ursache", meinte er und summte dann leise vor sich hin, als er in den Schatten der Nacht verschwand.
Abigail öffnete die Tür und trat in das Gästezimmer. Mondschein fiel durch die hohen Fenster herein. Auf dem runden Kaminvorleger stand Helena und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
„Ich bin’s doch nur“, sagte Abigail.
„Du hast mich halb zu Tode erschreckt! Hast du dir die Sterne angeschaut?“ Helena wartete die Antwort nicht ab. „Natürlich hast du das.“
Es behagte Abigail nicht, dass sie so berechenbar war, auch wenn es den Tatsachen entsprach. Helena hatte sich an das mitternächtliche Kommen und Gehen ihrer Schwester inzwischen gewöhnt. „Und wo warst du?“ wollte Abigail wissen. „Du bist ja tropfnass! Und wonach riechst du? Nach Seewasser?“
Helena griff sich ein Handtuch und trocknete sich das Haar. „Du darfst Papa nichts erzählen.“
Zuneigung und Verärgerung stritten in Abigail. „Wann habe ich jemals Papa etwas gesagt?“
Helena ließ das Handtuch fallen. Im geheimnisvollen Mondlicht sah sie so zart und außerirdisch aus wie eine Fee. „Ich war schwimmen. Mit Michael.“
„Mit... Oh, Professor Rowan.“
„ J a.“
„Du kannst doch gar nicht schwimmen.“
„Jetzt kann ich es.“
„War es nicht kalt?“
„Schon, doch nach kurzer Zeit merkte ich das überhaupt nicht mehr.“
„Du hängst jetzt am besten deine nassen Sachen über einen Stuhl, damit sie bis morgen trocken sind.“
Helena begann, sich das Haar zu bürsten. „Meine Sachen sind nicht nass.“
Erst nach einem Moment ging Abigail auf, was ihre Schwester eben gesagt hatte. „Um Himmels willen, hast du etwa nackt gebadet?“
Helena lachte leise. „Es war herrlich! Ganz natürlich und unverkrampft. Michael erzählte, bei den Eingeborenen von ..."
„Ich kann es nicht fassen, dass du mit einem Mann nackt gebadet hast.“
„Es wäre gefährlich gewesen, ohne ihn zu schwimmen.“
Abigail wusste, dass sie keinen Grund hatte, überrascht zu sein. Empörendes zu tun, das war schließlich die Spezialität ihrer Schwester.
„Selbstverständlich wollte ich es auch gar nicht allein tun“, fügte Helena hinzu. „Michael meinte
Weitere Kostenlose Bücher