Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
bleiben. Er erinnerte sich nicht, wann eine Frau ihn zum letzten Mal zum Lachen gebracht hatte, doch in Abigails Nähe geschah das laufend.
„Essen Sie sie direkt aus der Schale“, riet er ihr. „Stellen Sie sich einfach vor, dies wäre ein Löffel voller köstlicher Suppe.“
Abigail holte tief Luft, schloss die Augen und öffnete die Lippen. Jamie ließ ihr die Auster in den Mund gleiten. Sofort riss sie die Augen wieder auf, und ihr Blick spiegelte Panik.
„Zu spät, meine Liebe“, flüsterte er. „Jetzt müssen Sie sie schon hinunterschlucken. Es wäre doch zu ungehörig, wenn Sie - nun, Sie wissen schon.“
Abigail verzog das Gesicht und schluckte.
„Austern sind nachweislich ein Aphrodisiakum“, erklärte er im Flüsterton, damit die anderen nichts hörten.
Abigail würgte ein wenig, griff nach ihrem Glas und nahm einen großen Schluck Wein. Schließlich drückte sie sich die Serviette an den Mund und schien langsam die Beherrschung wieder zu finden.
„Ich dachte nur, das würde Sie interessieren“, fuhr Jamie fort.
„Wieso sollte es?“
„Nun, Sie sind doch dabei, sich einen Ehemann einzufangen. Den mit Austern zu füttern, das wäre keine schlechte Idee.“
Sie schaute zu ihrem Vater hinüber, der sie indes wie üblich nicht zur Kenntnis nahm; der Senator war vollauf damit beschäftigt, sich mit Jamies Eltern zu unterhalten, und hatte seine Töchter darüber ganz vergessen.
„Ich habe keineswegs vor, mir irgendjemanden einzufangen“, widersprach Abigail leise.
„Vergebung, ich habe mich falsch ausgedrückt.“
„Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, erst einmal Leutnant Butlers Aufmerksamkeit zu erregen.“
„Glauben Sie mir, das ist Ihnen bereits gelungen. Wie nannte er Sie doch in seinem letzten Brief? ,Das zarte Gefäß aller Hoffnungen und Träume des Lebens/ Ja, ich glaube, so drückte er sich aus. Eines muss ich dem Mann lassen - er versteht es, ernsthaft zu formulieren.“
„Worüber flüstert ihr beiden denn?“ wollte Jamies Vater wissen, dessen gute Laune durch den Genuss größerer Mengen Starkbiers beflügelt worden war.
„Oh, wir planen nur den Umsturz der Regierung, Sir“, antwortete Jamie und blinzelte dabei Abigail zu.
„Ich hätte Sie nie diese Briefe sehen lassen dürfen“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
„Wie sollte ich denn sonst erfahren, was Butler erwartet? Sie haben ihn am Haken, Abby. Jetzt brauchen Sie ihn nur noch an Land zu ziehen.“
„Genau das macht mir Sorge. Wenn der Leutnant merkt, dass ich die Verfasserin der Briefe bin und nicht Helena, rennt er vermutlich schreiend in den nächsten Wald.“
Wieso hat sie nur eine so schlechte Meinung von sich? fragte er sich im Stillen. Weshalb kümmert sie sich so viel um die Ansicht anderer? Warum lässt sie sich von der Meinung ihres Vaters so sehr beeindrucken?
Möglicherweise verstand Jamie das sogar. Er wusste ja, dass seine eigenen Eltern ihn mit eher beiläufiger Zuneigung behandelten. Seiner Mutter hatte man schon früh jeden mütterlichen Instinkt abgewöhnt, indem man ihr beibrachte, dass keine Dame von Stand ihre eigenen Kinder selbst aufzog, sondern diese alsbald einer Amme und dann einem Kindermädchen übergab.
Jamies früheste Erinnerung war nicht die an seine Mutter, sondern an einen dunklen weichen Arm, der sich beschützend um ihn schlang, und an ein freundliches rundes, von einem grob gesponnenen Kopftuch eingerahmtes Gesicht.
Die Frau, an die er sich erinnerte, hieß Igee, und seit seiner Geburt hatte sie sich um sein Wohlergehen und seine Ausbildung gekümmert. Eines Tages, kurz nachdem er den Namen seines Bruders Noah in der „Chesapeake Review“ veröffentlicht hatte, war Igee in sein Schulzimmer gekommen, wo sein Privatlehrer ihm gerade das Addieren beibringen wollte.
Strahlend wie der Vollmond hatte Igee Jamie angeschaut. „Das ist für heute genug Unterricht“, erklärte sie. „Das Kind muss jetzt baden und sich umziehen. Jamie wird heute nämlich mit den Erwachsenen zu Abend essen.“
Jamie war dann geschrubbt worden wie ein Pferd für eine Ausstellung; Igee hatte ihn von Kopf bis Fuß - auch hinter den Ohren - gewaschen und ihn dann in seinen Sonntagsstaat gesteckt. Jamie wusste noch genau, wie sie ihn im Boudoir seiner Mutter vor den großen, frei stehenden Spiegel gestellt und ihm ihre dicklichen Hände auf die Schultern gedrückt hatte.
„Du siehst großartig aus, mein Schatz“, hatte Igee erklärt. „Du bist ein Bild von einem kleinen
Weitere Kostenlose Bücher