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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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Kein Mensch war zu sehen: Morgens laufen die Geschäfte im Rotlichtviertel immer erst schleppend an. Die Stille hatte etwas Bedrückendes und ich freute mich, dem Viertel bald den Rücken kehren zu können.
    Ich war kaum um die Ecke des Hauses gebogen, als das Geräusch plötzlich anhob. Ich erstarrte auf der Stelle und mein Nackenhaar stellte sich auf, eine unerklärliche Angst packte mich. Es war wie das Heulen eines Wolfs oder eines Tiers mit grausamen Schmerzen. Das Geräusch schien von überall her zu kommen, es hallte von den Häusern wider und erfüllte die Trümmergrundstücke mit unsagbarem Schmerz. Dann hörte es auf, aber für einen Moment konnte ich mich nicht rühren. Dann begann es von Neuem und das Fenster im Haus gegenüber öffnete sich. Die Frau, die mir geraten hatte, den Hausbesitzer mit Steinchen auf mich aufmerksam zu machen, lehnte sich hinaus und rief: »Das is die verrückte alte Hexe. Die, um die Sie sich kümmern. Sagen Sie ihr, sie solls Maul halten, sonst komm ich runter und bring sie um. Könn’n Sie ihr von mir sagen.«
    Das Fenster wurde zugeknallt und meine Gedanken begannen zu rasen.
    Verrückte alte Hexe? Mrs Jenkins? Das konnte nicht sein! Von ihr konnte ein solch schmerzgeplagtes Heulen nicht stammen. Ich hatte sie doch erst wenige Minuten zuvor zufrieden und glücklich zurückgelassen.
    Das Heulen riss ab. Zitternd ging ich zurück ins Haus, den Flur hinunter und drehte den Türknauf.
    »Rosie? Bis du das, Rosie?«
    Ich öffnete die Tür. Mrs Jenkins saß noch genau so da, wie ich sie verlassen hatte, mit einer Katze auf dem Schoß, während sich eine andere neben dem Sessel putzte. Sie schaute lächelnd auf.
    »Wenn du Rosie siehs, sag ihr, dass ich bald komm. Sag ihr, sie soll nich den Mut verliern. Sag ihr, und den Klein’n auch, dass ich bald komm. Ich schrubb und schrubb den ganzen Tag und dann werden sie mich zu ihnen lassen. Sag das meiner Rosie.«
    Ich war verwirrt. Von ihr konnte dieses Geheul nicht gekommen sein, es war unmöglich. Ich fühlte ihren Puls, der ganz normal war, und fragte, ob sie sich gut fühle, worauf sie nicht antwortete, stattdessen mit den Lippen schmatzte und mich betrachtete.
    Ich sah keinen Sinn darin, noch zu bleiben, aber an diesem Morgen verließ ich sie mit einem mulmigen Gefühl.
    Schwester Evangelina nahm meinen Bericht entgegen und ich erzählte ihr, dass Mrs Jenkins ihr Bad offenbar genossen hatte. Ich berichtete von den Fußnägeln und den Flöhen. Ich sagte, dass ihr Geisteszustand wohl recht stabil sei – dass sie sich über ihre neuen Kleider freute, gesellig mit den Katzen plauderte und sich überhaupt nicht mehr in sich gekehrt und abweisend verhielt. Ich zögerte, von dem unmenschlichen Heulen zu berichten, das ich auf der Straße gehört hatte. Schließlich konnte es ja auch sein, dass es nicht Mrs Jenkins gewesen war. Nur die Frau von gegenüber hatte das behauptet.
    Schwester Evangelina schaute zu mir auf, ihre kräftigen Züge zeigten keine Regung.
    »Und?«, sagte sie.
    »Was und?«, fragte ich zögerlich.
    »Und was noch? Was fehlt in deinem Bericht?«
    Konnte sie Gedanken lesen? Ich konnte mich nicht drücken. Ich erzählte ihr von dem markerschütternden Schrei, den ich auf der Straße gehört hatte, und fügte hinzu, dass ich nicht sicher wusste, ob er von Mrs Jenkins kam.
    »Das nicht, aber du kannst auch nicht sicher sein, dass er nicht von Mrs Jenkins war, oder? Beschreib mir den Schrei.«
    Wieder zögerte ich, denn er ließ sich so schwer beschreiben. Schließlich verglich ich ihn mit dem Heulen eines Wolfs.
    Schwester Evangelina blickte regungslos in ihre Akte, und als sie schließlich sprach, war ihre Stimme eine andere, gedämpft und leise. »Wer dieses Geräusch je gehört hat, vergisst es nie wieder. Es lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Ich glaube, dass der Schrei wahrscheinlich von Mrs Jenkins kam und dass es sich um etwas handelt, was man früher das ›Arbeitshausgeheul‹ genannt hat.«
    »Was ist das denn?«, fragte ich.
    Sie antwortete nicht sofort, saß schweigend da und klopfte ungeduldig mit ihrem Stift auf den Schreibtisch. Dann sagte sie: »Hmpf. Ihr jungen Mädchen habt aber auch keine Ahnung von jüngerer Geschichte. Ihr habt es zu einfach gehabt, das ist das Problem. Ich werde bei deinem nächsten Besuch mitkommen und außerdem werde ich mal sehen, ob wir Krankenakten oder Gemeindedokumente über Mrs Jenkins bekommen. Mach weiter mit deinem Bericht.«
    Ich brachte meinen Bericht zu Ende

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