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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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betrachtete die blutige Masse in der Nierenschale. Sie bewegte sich. Es bewegte sich etwas in all dem Blut. Mein Herz setzte aus. Dann sah ich das winzige Wesen inmitten der Blutlache und sein Bein bewegte sich.
    Oh mein Gott, ich hätte es fast ertränkt!, dachte ich.
    Ich hob den winzigen Körper mit einer Hand heraus und hielt ihn mit dem Kopf nach unten. Er wog fast nichts. Ich hatte schon neugeborene Welpen in der Hand, die etwa genauso groß waren. Meine Gedanken rasten.
    »Wir müssen die Nabelschnur schnell abklemmen und durchschneiden. Dann müssen wir ihn wärmen.«
    Es war ein kleiner Junge.
    Ich fühlte mich abgrundtief schuldig. Die Nabelschnur hätte schon fünf Minuten früher abgeklemmt werden müssen. Wenn er jetzt stirbt, ist alles meine Schuld, dachte ich. Ich hatte dieses winzige, lebendige Wesen in einer Schale voller Blut und Fruchtwasser abgestellt. Ich hätte besser hinschauen sollen. Ich hätte nachdenken sollen.
    Aber es bringt nichts, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen. Ich klemmte die Nabelschnur ab und schnitt sie durch. Ich legte die Hand auf den zerbrechlichen Brustkorb. Er atmete. Er hatte Überlebenswillen. Len hatte mithilfe einer Wärmflasche ein kleines Handtuch angewärmt, wir wickelten den kleinen Jungen hinein. Er bewegte Kopf und Arme. Wir drei waren erstaunt, wie viel Leben in dem Baby steckte. Keiner von uns hatte je ein so winziges Menschenkind gesehen. Babys, die zwei Monate zu früh zur Welt kommen, wiegen in der Regel um die vier Pfund und sind noch äußerst winzig. Aber dieses Baby wog vielleicht anderthalb Pfund und sah aus wie eine winzige Puppe. Seine Arme und Beine waren viel kleiner als mein kleiner Finger und doch endete jeder Finger und Zeh in einem mikroskopisch kleinen Nagel. Sein Kopf war kleiner als ein Tischtennisball und wirkte dabei viel zu groß. Sein Brustkorb erinnerte an Fischgräten. Er hatte winzige Ohren, seine Nasenlöcher hatten den Durchmesser von Stecknadelköpfen. Ich hätte mir niemals vorgestellt, dass ein Baby in der achtundzwanzigsten Woche so süß aussehen konnte. Ich dachte, dass ich ihm jetzt eigentlich Schleim aus dem Rachen absaugen musste, aber ich hatte Angst, ihn zu verletzen. In jedem Fall erwies sich der Katheter, den ich geholt hatte, als viel zu dick. Er hätte niemals in seinen Mund gepasst. Es wäre so unpassend gewesen, wie einem normalen Baby einen Wasserschlauch in den Mund schieben zu wollen. Also hielt ich ihn nur mit einer Hand vorsichtig nach unten und strich ihm zart mit einem Finger über den Rücken.
    Ich hatte keine Erfahrung mit frühgeborenen Babys und wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Instinkt sagte mir, dass er Wärme und Ruhe und am besten einen abgedunkelten Raum brauchte, wo man ihm regelmäßig zu trinken geben musste. Eine Wiege stand nicht bereit. Wo konnten wir ihn hinlegen? In diesem Moment begann Conchita, die ganz ruhig dalag, wieder zu sprechen.
    »Niño. Mi niño. Dónde está mi niño?« (Baby. Mein Baby. Wo ist mein Baby?)
    Wir sahen einander an. Wir hatten alle gedacht, dass sie halb bewusstlos sei oder schlafe, aber offenbar wusste sie genau, was passiert war, und wollte ihr Baby sehen.
    »Wir müssen ihn ihr geben. Liz, sag ihr, dass er sehr klein is un dass wir ganz vorsichtig sein müssen.«
    Liz redete mit ihrer Mutter, die ein Lächeln andeutete und vor Erschöpfung seufzte. Len nahm das Baby von mir entgegen und setzte sich neben seine Frau. Er hielt das Kind in seiner Hand, sodass sie es sehen konnte. Ihre Augen waren leer und schauten eine ganze Weile lang ins Nichts und ich glaube, dass sie zunächst nichts sah oder begriff. Sie hatte erwartet, ein normal ausgetragenes Baby in die Arme gelegt zu bekommen. Liz sprach wieder mit ihr und ich hörte, was sie sagte.
    »El niño es muy pequeño.« (Das Baby ist sehr klein.)
    Conchita musste ihre Augen anstrengen, um das zierliche Etwas in Lens Hand erkennen zu können. Man sah ihr die Mühe fast an. Allmählich begriff sie und mit einem tiefen Atemzug streckte sie eine zitternde Hand aus und berührte das Baby. Sie lächelte und murmelte: »Mi niño, mi querido niño« (Mein Baby, mein liebes Baby), und dämmerte weg, mit ihrer Hand auf der Hand ihres Mannes mit dem Baby.
    In diesem Moment kam das Notfallteam.

Das Notfallteam
    Die meisten größeren Londoner Krankenhäuser und, wie ich glaube, auch alle regionalen Krankenhäuser hatten ein geburtsmedizinisches Notfallteam, die die häusliche Geburtshilfe unterstützten. Dieser

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