Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Die Öfen waren sehr solide, hatten eine flache Oberseite und man füllte sie, indem man einen kreisförmigen Deckel öffnete und Koks aus einer eisernen Schütte hineingab. Dazu brauchte man Kraft in den Armen. Der Ofen stand in der Mitte des Raums, sodass die Hitze in alle Richtungen ausstrahlen konnte. Der Abzug führte senkrecht nach oben durch das Dach.
Es gab eine Reihe von Untersuchungstischen, bewegliche Paravents schirmten die Patientinnen ab und wir saßen auf Stühlen an hölzernen Tischen, wenn wir unsere Patientinnenakten führten. Ein langer Tisch mit Marmorplatte stand neben der Spüle, auf ihm legten wir unsere Instrumente und die übrige Ausrüstung ab. Außerdem stand dort ein Gaskocher, daneben lag eine Schachtel Streichhölzer. Dieser Kocher mit einer einzigen Flamme war ständig im Gebrauch, um Urin zum Kochen zu bringen. Ich habe den Geruch noch heute in der Nase – nach fünfzig Jahren!
Eine solche Untersuchungspraxis, wie es sie in ähnlicher Form im ganzen Land gab, mag nach heutigen Begriffen primitiv wirken, doch sie hat Tausenden Müttern und Babys das Leben gerettet. Diese Hebammenpraxis war bis 1948 die einzige in der Gegend, dann wurde eine kleine Geburtshilfestation mit acht Betten im Krankenhaus von Poplar eröffnet. Davor hatte es im Krankenhaus keine solche Station gegeben, obwohl Poplar eine Bevölkerungsdichte von fünfzigtausend Einwohnern pro Quadratmeile gehabt haben soll. Als man nach dem Krieg beschloss, in dem Krankenhaus eine eigene Station einzurichten, gab es keine besonderen Vorkehrungen. Es wurden einfach zwei kleine Stationen der Geburtsmedizin zugewiesen – eine für die Zeit des Wochenbetts und die andere für Entbindungen. Dort fand auch die Vorsorge statt. Es war zwar unzureichend, aber es war besser als nichts. Unterbringung, Ausrüstung und Technik waren nicht entscheidend. Entscheidend waren Wissen, Können und Erfahrung der Hebammen.
Vor den klinischen Untersuchungen hatte ich die größte Abneigung. Es kann nicht wieder so schlimm werden wie letzte Woche, dachte ich, als ich die Türen öffnete. Mich schauderte noch im Nachhinein, als ich mich daran erinnerte. Gott sei Dank habe ich Handschuhe getragen, dachte ich. Was wäre andernfalls wohl passiert?
Während der ganzen vergangenen Woche hatte ich immer wieder an sie denken müssen. Sie war gegen sechs Uhr in Pantoffeln in die Praxis geschlurft, Lockenwickler im Haar. Eine Kippe hing an ihrer Unterlippe und sie hatte fünf Kinder dabei, alle jünger als sieben. Ihr Termin war um drei gewesen. Ich war gerade nach einem nicht besonders anstrengenden Nachmittag beim Aufräumen. Zwei der Hebammenschülerinnen waren schon gegangen und die dritte hatte ihre letzte Patientin. Von den Schwestern war nur noch Novizin Ruth anwesend (Novizin war sie nur in kirchlicher Hinsicht, nicht jedoch als Hebamme). Sie bat mich, Lil Hoskin zu untersuchen.
Es war Lils erste pränatale Untersuchung, obwohl sie bereits seit fünf Monaten keine Periode mehr gehabt hatte. Das wird jetzt sicher noch einmal eine halbe Stunde dauern, seufzte ich im Stillen, als ich mir die Akte nahm. Ich überflog sie kurz: dreizehnte Schwangerschaft, zehn Lebendgeburten, bisher keine Geschlechtskrankheiten, kein Rheumaanfall oder Herzleiden, keine Tuberkuloseinfektion bislang, Blasenerkrankungen ja, aber keine Anzeichen einer Nierenentzündung, Brustdrüsenentzündungen nach dem dritten und dem siebten Baby, alle übrigen Babys wurden gestillt.
Die geburtsmedizinische Anamnese konnte ich zum größten Teil ihrer Akte entnehmen, aber ich musste einige Fragen zu ihrer derzeitigen Schwangerschaft stellen.
»Hatten Sie Blutungen?«
»Nö.«
»Vaginaler Ausfluss?«
»’n bisschen.«
»Welche Farbe?«
»Meistens gelblich.«
»Waren die Knöchel mal geschwollen?«
»Nö.«
»Atemnot irgendwann?«
»Nö.«
»Mussten Sie sich übergeben?«
»’n bisschen. War aber nich viel.«
»Verstopfung?«
»Jau, ganz ordentlich.«
»Sind Sie sicher, dass Sie schwanger sind? Sie sind ja nicht untersucht oder getestet worden.«
»Ich muss es ja wohl wissen«, sagte sie bedeutungsvoll und lachte schrill auf.
Die Kinder liefen derweil wild durch den ganzen Raum. Die alte Kirche war riesig, stand so gut wie leer und war daher ein fabelhafter Spielplatz. Mir machte es nichts aus – kein gesundes Kind kann solch großen Räumen widerstehen und der Bewegungsdrang von Fünfjährigen ist stark. Doch Lil glaubte ihre Autorität unter Beweis stellen zu
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