Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
waren kandierte Äpfel und er hatte eine Menge Erfolg damit. Dolly rührte die Glasur in der Küche an und Fred kaufte kistenweise billige Äpfel in Covent Garden. Man musste nur ein Stöckchen nehmen, den Apfel aufspießen, ihn in die Glasur tauchen und im Nu reihte sich Apfel an Apfel zum Abtropfen auf einem Brett. Fred wusste nicht, warum er nicht früher auf die Idee gekommen war. Es war ein Knaller. Hundert Prozent Gewinnspanne und sicherer Absatz, wegen der vielen Kinder in der Gegend. Er prophezeite sich selbst eine rosarote Zukunft mit maximalen Verkäufen und Profiten.
Ein, zwei Wochen später war offenbar etwas schiefgegangen, denn die kleine Person, die da beim Ofen kniete und den Abzug einstellte, war ganz still. Kein fröhlicher Gruß, keine Plauderei, kein unmelodiöses Pfeifen – nur lastende Stille. Er reagierte noch nicht einmal auf unsere Fragen.
Schließlich stand Chummy vom Tisch auf und ging zu ihm hinüber.
»Komm schon, Fred. Was ist los? Vielleicht können wir ja helfen. Und selbst wenn nicht, wirst du dich besser fühlen, wenn du es uns erzählst.« Sie legte ihm ihre riesige Hand auf die Schulter.
Fred drehte sich um und schaute auf. Er schlug sein nordöstliches Auge nieder und in dem südwestlichen glänzte es feucht. Seine Stimme war rau, als er zu sprechen begann.
»Federn. Wachtelfedern. Das is los. Jemand hat gemeckert, da wärn Federn an meinen kandierten Äpfeln dran. Also sin die Kontrolleure vom Gesundheitsamt gekommen un ham sie sich angesehn und ham gesagt, da wärn Federn und Federteile an meinen kandierten Äpfeln dran und dass ich ne Gefahr für die öffentliche Gesundheit wär.«
Offenbar hatte der Mann vom Gesundheitsamt sofort sehen wollen, wo die kandierten Äpfel hergestellt wurden, und als man ihn in die Küche geführt hatte, in der regelmäßig die Wachteln geschlachtet und gerupft wurden, hatte er verfügt, dass beide Tätigkeiten sofort einzustellen seien, sonst drohe eine Anzeige. Das war ein solcher Schlag für Freds wirtschaftliche Lage, dass nichts, was wir sagten, ihn trösten konnte. Chummy fand nette Worte, ganz sicher würde sich schon bald etwas anderes ergeben, ja, etwas noch Besseres, aber daran glaubte er nicht und es wurde an diesem Morgen ein trübsinniges Frühstück. Er hatte sein Gesicht verloren und das schmerzte.
Aber Freds großer Triumph stand ihm erst noch bevor.
Ein Weihnachtsbaby
Der Geburtstermin von Betty Smiths Baby war für Anfang Februar errechnet. Während sie den ganzen Dezember lang fröhlich auf Achse war und für ihren Mann und sechs Kinder, ihre Eltern und Schwiegereltern, die Großeltern auf beiden Seiten, Brüder, Schwestern und deren Kinder, Onkel und Tanten sowie eine uralte Urgroßmutter das Weihnachtsfest vorbereitete, ließ es sich niemand aus der Familie träumen, dass das Baby am Weihnachtstag zur Welt kommen würde.
Dave war Werftmanager in den West India Docks. Er war Mitte dreißig, klug, kompetent und kannte seinen Beruf in- und auswendig. Bei der Londoner Hafenbehörde schätzte man ihn sehr und er verdiente ein gutes Gehalt. Daher konnte sich die Familie eines der großen viktorianischen Häuser in einer Seitenstraße der Commercial Road leisten. Betty war ihrem Glück auf ewig dankbar, dass sie Dave gleich nach dem Krieg geheiratet hatte und so die Wohnblocks mit ihren beengten Lebensbedingungen und der minimalen sanitären Versorgung hinter sich lassen konnte. Sie liebte ihr großes geräumiges Haus und so war es immer eine Freude für sie, wenn die Familie zu Weihnachten über sie hereinbrach. Die Kinder liebten es. Da rund fünfundzwanzig kleine Cousins und Cousinen aus ganz Poplar, Stepney, Bow und Canning Town zusammenkamen, stand eine große Sause bevor.
Onkel Alf war der Weihnachtsmann. Das Haus stand am unteren Ende einer Steigung und Onkel Alf hatte einen selbst gemachten Schlitten auf Rädern. Beladen mit einem Sack voller Geschenke, wurde er bis zum oberen Ende der Straße geschleppt, und auf ein verabredetes Zeichen hin erhielt er einen Schubs. Die Kinder kamen nicht hinter diesen Trick. Alles, was sie sahen, war, dass der Weihnachtsmann sanft auf sie zuglitt, ohne dass irgendeine Form des Antriebs zu erkennen gewesen wäre, und dass er vor ihrem Haus zum Stehen kam. Sie waren außer sich vor Freude.
In diesem Jahr jedoch lief alles etwas anders ab. Anstelle des Weihnachtsmanns auf einem Schlitten kam eine Hebamme auf einem Fahrrad. Anstelle eines Sacks voller Geschenke gab es ein nacktes,
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