Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
kommen.« Und zu mir: »Rufen Sie ihn doch bitte an, Schwester.«
Obwohl er vergleichsweise wohlhabend war, hatte Dave kein Telefon. Es hätte nicht viel gebracht, denn keiner seiner Freunde und Verwandten hatte eins, also hätte ihn auch nie jemand anrufen können. Die öffentliche Telefonzelle reichte für seinen Bedarf völlig aus. Als ich die Treppe hinunterging, stürmte mir eine Schar tobender Kinder mit Papierhüten und vor Aufregung erhitzten Gesichtern entgegen. Von unten rief eine Stimme: »Los, versteckt euch. Ich zähle bis zwanzig, dann komme ich euch suchen. Eins, zwei, drei, vier …«
Die Kinder rannten immer höher die Treppe hinauf, schrien und schubsten sich und versteckten sich in Schränken, hinter Vorhängen, wo auch immer sie Platz fanden. Als ich die Haustür erreicht hatte, war es still – bis auf: »Siebzehn, achtzehn, neunzehn – ich komme!«
Ich trat hinaus in die Kälte der verlassenen Straßen auf der Suche nach der Telefonzelle. Dr. Turner war ein Allgemeinmediziner, der nicht nur seine Praxis im East End hatte, er lebte auch dort mit Frau und Kindern. Seinem Beruf und seiner Praxis widmete er sich mit Leib und Seele und mir schien es, als habe er immer Bereitschaft. Wie die meisten Allgemeinmediziner seiner Generation war er ein hervorragender Geburtshelfer, der sein Wissen und Können aus den Erfahrungen zog, die er in seinem ausgedehnten Wirkungsbereich machte.
Er hatte meinen Anruf bereits erwartet. Ich nannte ihm die Fakten. Er sagte: »Danke, Schwester. Ich komme sofort.« Bestimmt seufzte seine Frau: »Selbst an Weihnachten musst du noch los.«
Im Haus wurde immer noch Verstecken gespielt. Die Kinder, die entdeckt wurden, machten einen Höllenlärm. Als ich durch die Tür trat, kam mir ein Mann mit fröhlichem Gesicht und einem Kasten leerer Bierflaschen entgegen.
»Wie wärs? Trinken Sie eins mit, Schwester?«, fragte er. »Sie un die andere Schwester? Ups. Trinkt sie überhaupt, was meinen Sie?«
Ich versicherte ihm, dass die Nonnen durchaus tranken, allerdings nicht im Dienst und aus dem gleichen Grund würde ich jetzt auch nichts trinken. Eine Luftschlange, die jemand aus der Deckung der Tür heraus geworfen hatte, schoss an meinem Ohr vorbei.
»Oh, tschuldigung, Schwester, ich dacht, es wär unser Pol.«
Ich befreite mich von dem pink-orangefarbenen Ding und ging wieder nach oben. Die dicken, alten Mauern und die schwere Holztür schluckten den Lärm, Betty wirkte ruhig und zufrieden. Schwester Bernadette trug etwas in die Akte ein und Bettys Mutter Ivy saß in einer Ecke und strickte. Bis auf das Klicken der Stricknadeln und das Knistern des Feuers war es still. Schwester Bernadette erklärte mir, dass sie Betty kein Beruhigungsmittel geben wolle, da das dem Baby schaden könne. Sie sagte, es sei schwer einzuschätzen, wie lange die erste Geburtsphase dauern würde, und dass der Herzschlag des Fötus noch normal sei.
Dr. Turner traf ein und wirkte, als täte er an einem Ersten Weihnachtsfeiertag nichts lieber, als eine Steißgeburt zu betreuen. Er tauschte sich mit Schwester Bernadette aus und untersuchte Betty gründlich. Ich erwartete, dass er sie selbst noch einmal vaginal untersuchte, doch das tat er nicht: Er stellte Schwester Bernadettes Diagnose mit keinem Wort infrage. Betty erklärte er, dass mit ihr und dem Baby alles in Ordnung sei und dass er um fünf Uhr nachmittags wiederkomme, falls wir ihn nicht früher riefen.
Wir setzten uns und warteten. Die Tätigkeit einer Hebamme besteht zu einem großen Teil aus konzentrierter Arbeit, oft unter dramatischen Bedingungen. Doch dem stehen lange Phasen des stillen Abwartens gegenüber. Schwester Bernadette setzte sich und nahm ihr Brevier heraus, um das Tagesgebet zu sprechen. Die Nonnen befolgten ihre Klosterregeln, hielten am Tag sechs Gebetszeiten ein: Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet, und empfingen an jedem Morgen die heilige Kommunion. In einer kontemplativ lebenden Ordensgemeinschaft nehmen die Gottesdienste und Gebete etwa fünf Stunden des Tages ein. Für eine arbeitende Gemeinschaft ist das nicht praktikabel, daher ließen sich die Hebammen des Heiligen Raymund Nonnatus in ihrer Anfangszeit eine Kurzfassung erarbeiten. So konnten sie ein Leben im Glauben getreu ihrem Gelübde führen und gleichzeitig uneingeschränkt als Krankenschwestern und Hebammen tätig sein.
Den Anblick dieses schönen jungen Gesichts im Schein des Feuers, während Schwester Bernadette die alten Gebete las, ruhig und
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