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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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dann sollte es zurück nach London gehen, mit einer Pause bei Dirty Dick’s – einem Lasterfahrercafé an der A 23 – bei Speck mit Eiern.
    Die Straßen waren in den 1950er-Jahren noch nicht wie heute. Zuerst einmal mussten wir aus dem Londoner Zentrum herausfinden und uns meilenweit durch die Vororte schlängeln – Vauxhall, Wandsworth, the Elephant, Clapham, Balham und so weiter. Keine endlose Strecke, aber sie nahm ein paar Stunden in Anspruch. Als wir die Vororte hinter uns gelassen hatten, rief der Fahrer: »Hier haben wir freie Bahn. Nichts kann uns bis Brighton noch aufhalten.«
    Nichts, das hieß nichts außer dem Temperament von Lady Chatterley, die zum Überhitzen neigte. 64 Kilometer pro Stunde war ihre Höchstgeschwindigkeit und sie war bereits zu lange zu dieser Höchstleistung angetrieben worden. Wir mussten in Redhill, Horley (oder war es Crawley?), Cuckfield, Henfield und einer ganzen Reihe weiterer »-fields« anhalten, um sie ruhen und abkühlen zu lassen. Die Nerven im Innern des alten Taxis waren allmählich ebenso strapaziert wie die Polster. Wir hatten geglaubt, die Sonne würde uns nie im Stich lassen, doch sie hatte sich unaufhaltsam auf die andere Seite der Erdkugel geschlichen und nun saßen wir Mädchen in unseren dünnen Sommerkleidchen zitternd da. Die Jungs auf den Vordersitzen riefen: »Nur noch ein paar Meilen. Ich sehe schon die South Downs am Horizont.«
    Schließlich erreichten wir nach einer fünfstündigen Fahrt gegen drei Uhr morgens mit letzter Kraft Brighton. Das Meer sah schwarz und sehr, sehr kalt aus.
    »Also«, rief einer der Jungs, »wer geht alles schwimmen? Seid keine Hasenfüße. Es ist herrlich, wenn man erst mal drin ist.«
    Die Mädchen waren nicht so optimistisch. Ein Mitternachtsbad, geplant in der Wärme und Geborgenheit eines Londoner Pubs, unterscheidet sich erheblich von der Realität des kalten, schwarzen Ärmelkanals morgens um drei. Ich war das einzige Mädchen, das in dieser Nacht schwimmen ging. Nachdem ich diesen ganzen Weg zurückgelegt hatte, konnte ich nicht klein beigeben!
    Die Kiesel am Strand von Brighton sind selbst bei schönstem Wetter tückisch, aber wenn man zufällig gerade 15 Zentimeter hohe Stöckelschuhe trägt, sind sie die Hölle. Wir hatten vorgehabt, nackt zu baden, doch niemand hatte sich mit der Frage der Handtücher beschäftigt. Nach einem kalten Winter hatte sich der Frühling früh angekündigt, aber niemand hatte sich um die Temperatur Gedanken gemacht.
    Etwa sechs von uns zogen sich aus und mit aufgesetzten Freudenrufen, mit denen wir uns gegenseitig ermunterten, sprangen wir in die Wellen. Ich schwimme sonst sehr gern, aber die Kälte fuhr mir scharf wie ein Messer in die Glieder, raubte mir den Atem und löste einen Asthmaanfall aus, der die ganze restliche Nacht über andauerte. Ich schwamm ein paar Züge, kroch dann aus dem Meer und schnappte nach Luft. Ich saß auf den nassen Kieseln und schlotterte vor Kälte. Ich hatte nichts, womit ich mich abtrocknen, und nichts, was ich mir überziehen konnte. Was war ich doch für ein Trottel! Warum brachte ich mich nur in so eine verrückte Lage? Ich versuchte, meine Schultern mit einem kleinen Spitzentaschentuch abzutrocknen. Sinnlos. Meine Lungen brannten und die Luft schien einfach nicht hineinzugelangen. Einigen der Jungs machte es wirklich Spaß, sie tollten miteinander herum. Ich beneidete sie um ihre Vitalität. Ich hingegen hatte nicht einmal mehr die Kraft, den Strand hinauf zum Auto zu kriechen.
    Jimmy kam lachend aus dem Wasser und bewarf jemanden mit Seetang. Er kam zu mir. Wir konnten einander im Dunkeln nicht gut sehen, als er sich auf die Kiesel neben mir fallen ließ, aber er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht hörte er mich keuchen. Sein Übermut war vorbei und er war sogleich so nett, besorgt und besonnen, wie ich ihn schon als kleinen Jungen gekannt hatte.
    »Jenny! Was ist los? Du bist ja krank. Du hast Asthma. Oh, Süße, du bist ja ganz durchgefroren. Komm, ich trockne dich mit meiner Hose ab.«
    Ich konnte nicht antworten. Ich rang nur nach Luft. Er warf mir seine Hose über den Rücken und rubbelte kräftig. Er gab mir sein Hemd, um mir das Gesicht und mein nasses Haar zu trocknen, und rieb mir die Beine mit seinen Socken und seiner Unterhose ab. Sein Unterhemd ließ er trocken und zog es mir an, denn ich hatte kein eigenes. Er half mir in mein dünnes Baumwollkleid, dann zog er mir seine Schuhe an und half mir den Strand hinauf zum Auto.

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