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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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war schon immer schmal gewesen, doch jetzt sah er mitleiderregend dünn aus. Seine Schultern hingen nach vorn und die wenigen grauen Haare trug er quer über den kahlen Kopf gekämmt.
    »Jimmy!«, rief ich, als wir uns gegenüberstanden. Seine blassblauen Augen blickten in meine und im gleichen Moment blitzten tausend Erinnerungen an eine sorglose Jugend voller Freude zwischen uns auf. Seine Augen begannen zu leuchten und er lächelte.
    »Jenny Lee!«, rief er. »Nach all den Jahren!«
    Die Frau rammte ihm ihren Daumen in die Brust und sagte: »Komm schon. Trödel jetzt nicht rum. Du weißt doch, dass die Turners heute Abend rüberkommen.«
    Seine blassen Augen schienen all ihre Farbe zu verlieren. Er blickte mich verzweifelt an und sagte: »Ja, Schatz.«
    Als sie weitergingen, hörte ich sie argwöhnisch fragen: »Was war das überhaupt für eine Frau?«
    »Ach, nur ein Mädchen, das ich früher kannte. Da war nichts zwischen uns, Schatz.«
    Dann schlurfte er davon, ein Pantoffelheld wie aus dem Bilderbuch.

Len und Conchita Warren
    Große Familien mögen ja ganz normal sein, aber das hier ist doch absurd, dachte ich, als ich meine tägliche Liste durchging. Das vierundzwanzigste Baby! Da ist sicher was falsch. Die erste Ziffer stimmt nicht. Dabei passt es gar nicht zu Schwester Julienne, Fehler zu machen. Mein Verdacht schien sich jedoch zu bestätigen, als ich mir die Patientinnenakte nahm. Erst zweiundvierzig Jahre alt. Es war unmöglich. Ich bin ja froh, dass außer mir noch andere Leute Fehler machen, dachte ich.
    Ich musste sie zur Vorsorge besuchen und mir ein Bild von der Mutter und der Eignung des Hauses für eine Hausgeburt machen. Das machte ich nie gerne. Mit meiner Bitte, mir das Schlafzimmer, die Toilette, die Küche, die Versorgung mit warmem Wasser, die Wiege und die Wäsche für das Baby zu zeigen, kam ich mir aufdringlich vor, aber jemand musste es tun. Die Verhältnisse konnten ärmlich sein und wir waren es gewohnt, mit relativ primitiven Umständen zurechtzukommen, aber wenn die Gegebenheiten wirklich untragbar waren, lehnten wir eine Hausgeburt auch schon einmal ab. Die werdende Mutter musste dann ins Krankenhaus gehen.
    Conchita Warren ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name, dachte ich, als ich mein Fahrrad Richtung Limehouse lenkte. Die meisten Frauen hier hießen Doris, Winnie, Ethel (sprich: »Eff«) oder Gertie. Aber Conchita! Der Name erinnerte mich an »einen Becher, drin der Süden schwankt […] und der beschlägt mit frischem Perlenhauch.« (Keats: »Ode an eine Nachtigall«). Was machte denn eine Conchita in den grauen Straßen von Limehouse mit ihren Schleiern aus grauem Rauch und dem grau verhangenen Himmel?
    Ich bog von der Hauptstraße in die Gassen ab und fand mithilfe meiner unverzichtbaren Karte das Haus. Es war eines der besseren, größeren Häuser – dreistöckig und mit Keller. Das bedeutete, zwei Zimmer pro Stockwerk und ein Kellerraum, der in den Garten führte – alles in allem sieben Zimmer. Sehr vielversprechend. Ich klopfte an die Tür, aber es kam niemand. Das war nichts Ungewöhnliches, aber es rief auch keiner: »Komm rein, Liebes.« Drinnen herrschte offenbar ein ziemlicher Lärm, also klopfte ich noch einmal, diesmal fester. Keine Antwort. Also drehte ich den Türknauf und ging hinein.
    Der enge Flur war nahezu unpassierbar. Zwei Leitern und drei riesige Kinderwagen mit Kutschenfederung standen aufgereiht entlang der Wand. In einem lag ein sieben oder acht Monate altes Baby und schlief selig. Der zweite war vollgestopft mit Kleidern, wahrscheinlich Wäsche. Im dritten befand sich Kohle. Kinderwagen waren damals sehr groß, hatten riesige Räder und zur Sicherheit weit hochgezogene Seiten, sodass ich mich seitwärts am Rand vorbeidrücken musste. Von oben hing Wäsche herab, die ich zur Seite schob. Geradeaus lag die Treppe zum ersten Stock und auch dort hingen wahre Wäschegirlanden. Bei dem süßlichen Geruch nach Seife, feuchter Wäsche, Babyexkrementen und Milch vermischt mit Kochdünsten wurde mir übel. Je schneller ich hier wieder rauskomme, desto besser, dachte ich.
    Der Lärm kam aus dem Keller, doch ich konnte keine Treppe nach unten finden. Ich ging in das erste Zimmer, das vom Flur abzweigte. Es war offenbar das, was meine Großmutter ihre »gute Stube« nannte, und bei ihr standen dort die besten Möbel, allerlei Nippes und das Porzellan, es gab Bilder und Spitzendeckchen und natürlich stand dort das Klavier. Man nutzte sie nur am Sonntag und zu

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