Calling Crystal
kalifornische Version eines Anzugs von Männern der Chefetage. Die Kostümbildnerin Lily George war überraschend jung für ihre Position, in ihren späten Zwanzigern, würde ich sagen. Sie war eine ungewöhnliche, feenhafte Erscheinung – feines blondes Haar, blasse Haut, Kleidergröße zero –, aber mit einer heiseren Stimme und einem rauen Lachen. Ich mochte sie auf Anhieb.
Mr Murphy saß auf Signora Carrieras uraltem Sofa und drehte sein Glas mit dem Vino-santo -Aperitif zwischenden Fingern. Man konnte es sich auf diesem möbelgewordenen Folterinstrument unmöglich bequem machen, aber ich bezweifelte, dass die Signora jemals die Zeit fand, sich darauf niederzulassen, um das selbst herauszufinden. »Wenn wir noch ein Momentchen vor dem Essen haben, könnten wir Ihre Kostüme sehen? Sie wissen ja, welche Bilder ich erschaffen will: der launenhafte Abend des Karnevals, eine Zeit, in der Liebende und Meuchelmörder auf den Straßen unterwegs sind.« Er unterstrich seine Visionen mit ausgreifenden Gesten und drohte, uns alle mit seinem Getränk vollzuplempern. »Ich möchte, dass unser Held, der in seinen typischen schwarzen Anzug gekleidet ist, umrahmt wird von den ausgefallenen, in Edelsteinfarben gehaltenen Kostümen der Festgäste. Sie müssen all das sein, was er nicht ist: außer Rand und Band, bunt und laut.«
Der Film war der dritte Teil eines erfolgreichen Agententhrillers, eine moderne, bitterböse Version des James Bond mit einer Hauptfigur, die sich häufiger auf der dunklen Seite bewegte als auf der der Guten. Die Rolle war der Durchbruch für den Schauspieler Steve Hughes gewesen, der, hellhaarig und gut aussehend, mit einem eindringlichen Blick in die Kamera zugleich verführen und erschrecken konnte und seine weiblichen Fans in höchste Verzückung versetzte.
Oh, hab ich das etwa nicht erwähnt? Ich bin ein großer Fan von ihm.
Signora Carriera nickte und stand auf. »Ja, wir haben noch Zeit, Ihnen ein paar Stücke zu zeigen. Crystal wird Ihnen die Kostüme vorführen.«
Ich stellte meine Cola hin. »Ach ja?«
Lily George erhob sich von ihrem Sitzplatz auf dem Fenstersims. »Toll. Mir gefallen die, die Sie bereits geliefert haben, sehr. Tut mir leid, dass wir jetzt noch weitere sehen wollen, aber James war dermaßen hin und weg, als er gesehen hat, was Sie da zustande gebracht haben – das hat die Szene gleich noch opulenter gemacht.«
»Was, moi ? Hin und weg? Gewiss nicht.« James grinste.
»Zeigen Sie mir, wie man die Kostüme richtig anzieht, dann kann mein Team am Sonntag den Komparsen beim Ankleiden helfen.«
Wir gingen in das Gästezimmer, in dem die Signora die Sachen bereitgelegt hatte. Die Kostüme basierten auf dem typischen Damenkleid des neunzehnten Jahrhunderts beziehungsweise auf der Männerstiefelhose mit Jacke, kombiniert mit einem Domino-Kapuzenumhang, einer Maske und einem Hut. Es war die Maske, die das Kostüm ausmachte, und hier kam das ganze Können der Signora zur Geltung, denn sie war eine Meisterin des Stilbruchs und kreierte moderne Versionen traditioneller Muster, griff urbane Themen wie Graffiti oder technische Motive auf, um das Altmodische in etwas spektakulär Neues zu verwandeln. Aber als Erstes musste ich in die Robe geschnürt werden, was mit einer furchterregenden Fülle an Miederwaren und Unterröcken einherging, um die richtige Silhouette zu erzeugen. Das Kleid – mit Gold bestickter Satin in Rot und Weiß – passte mir wie angegossen.
Lily bat mich, dass ich mich auf die andere Seite des Raums stellte. »Ja, ja, ausgezeichnet. James möchte, dass die Komparsen am Set lange Schatten werfen – das wird ein erstklassiger Effekt. Sie sollen Steve überragen, überlebensgroß.« Ich war enttäuscht, als ich von Lily erfuhr, dass mein Lieblingsschauspieler nur knapp 1,78 Meter groß war. Offenbar waren viele Hauptdarsteller eher klein, weil sich das für die Kamera besser machte. »Setz die Kapuze auf. Sogar noch besser. Welche Maske?«
Signora Carriera wählte eine blutrote aus, die eine Art Stoffkollage der Worte ›Tod, Sünde, Gefahr, Leidenschaft‹ war. Sie bildeten ein seidiges Gespinst, das zwei Drittel meines Gesichts bedeckte.
Lily streichelte es mit einer Fingerspitze. »Oh, ich möchte auch so eine. Die könnte ich an einem schlechten Tag bei der Arbeit tragen. Das würde den Mädels in meinem Atelier das Fürchten lehren. Komm, wir zeigen’s James!«
In der nächsten halben Stunde wurde ich hin und her gedreht und herumgeschoben, während
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