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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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schlanker, sehniger Gestalt, und trug stets bedruckte Kattunkleider und darüber eine lange Schürze. Mit einem sauberen Kopftuch band sie sich die Haare aus dem Gesicht. Obwohl sie so schlank war, konnte sie doch erstaunlich fest zupacken, wenn sie einen von uns am Arm festhielt, damit wir gut zuhörten. Sie lebte ganz allein in einer der alten Sklavenbaracken hinter Großpapas Laboratorium, und obwohl dort einmal ein Dutzend oder mehr Sklaven zusammen gehaust hatten, bot die Hütte doch gerade ausreichend Platz für eine Person. Den gestampften Lehmboden hatte man irgendwann mit nackten Holzdielen abgedeckt. Es gab ein Waschbecken aus Zink mit einer eigenen Wasserpumpe und für den Winter einen Holzofen.
    Violas Haut war nicht dunkler als meine am Ende des Sommers, dabei mied Viola die Sonne nach Möglichkeit, während ich da völlig unbesorgt war. Sie stammte nur zu einem Viertel von Negern ab, doch das war dasselbe, als ob sie ein Vollblut wäre. Vermutlich hätte sie in Austin als Weiße durchgehen können, aber das wäre eine furchtbar riskante Sache gewesen. Wenn jemand nämlich doch als Neger enttarnt wurde, drohten ihm Prügel, Gefängnis oder noch Schlimmeres. Eine Frau in Bastrop, die zu einem Achtel schwarz war, hatte sich als Weiße ausgegeben und einen weißen Farmer geheiratet. Drei Jahre später entdeckte er ihre Geburtsurkunde in einer Truhe und erstach seine Frau mit der Mistgabel. Dafür bekam er gerade mal zehn Monate Gefängnis.
    Viola und meine Mutter kamen gut miteinander aus, ich habe nie erlebt, dass Mutter sich Viola gegenüber von oben herab benommen hätte. Ich glaube, Mutter wusste wirklich, was es bedeutete, dreimal am Tag für so viele hungrige Jungen zu kochen, und sie wusste auch, dass unser Familienschiff ohne Violas Dienste kentern würde. Die Schwingtür zwischen der Küche und dem Esszimmer stand immer offen, außer wenn wir Gäste hatten. Wer vorbeikam, konnte am Klappern der Töpfe ablesen, wie weit die nächste Mahlzeit war – und wie Viola gelaunt war.
    Manchmal saßen die beiden zusammen in der Küche, um die Speisenfolge zu besprechen und die Ausgaben durchzugehen. Mutter sorgte immer dafür, dass Viola im Sommer genügend schöne Baumwollstoffe hatte und im Winter Flanell, zusätzlich zu ihrem Wochenlohn. Auch hob sie die alten Ausgaben vom Ladies’ Home Journal für sie auf, und selbst wenn Viola nicht lesen konnte, so machte es ihr doch Spaß, die Zeitschriften durchzublättern, und beim Anblick der gewagten neuesten Mode aus Paris stieß sie oft ungläubige Schreie aus. Zum Geburtstag bekam sie einen Silberdollar, zu Weihnachten Schnupftabak. Viola schnupfte zwar nicht oft, doch bevor sie ihre großartige Zitronen-Meringue-Torte buk, ein Wunderwerk aus einem flachen Zitronenkuchen mit einem Berg aus Eischnee, brauchte sie eine großzügige Prise. Sie schaffte es zwar in nur zehn Minuten, das Eiweiß mit ihrem Holzlöffel steif zu schlagen, doch nach dieser Strapaze war sie völlig erschöpft und schnappte nach Luft. Wenn ich ihr dabei zusah, wie sie schnupfte, sagte sie jedes Mal: »Eine widerliche Angewohnheit, mein Mädchen. Sollte ich dich je dabei erwischen, dann gerbe ich dir das Fell.« Aber sonst drohte sie mir nie, und normalerweise verstanden wir uns gut, wenn auch nicht ganz so gut wie Harry und sie. Harry war immer ihr Liebling gewesen, weil er so hübsch und charmant war.
    Ansonsten hatte sie eine besondere Vorliebe für Idabelle, die einzige Katze, die ins Haus durfte. Zu deren Pflichten gehörte der regelmäßige Gang durch Küche, Vorratskammer und Wäscherei, und sie musste dafür sorgen, dass die Mäuse nicht an den großen Mehltopf gingen. Viola war ganz vernarrt in sie, was erstaunlich war, weil sie die anderen Katzen – die draußen lebten – kaum ertrug und gelegentlich mit dem Besen von der Veranda hinterm Haus verscheuchte. Idabelle war eine fette, gemächliche Tigerkatze, die ihre Arbeit aber gut machte, und obwohl ihr Korb gleich neben dem Herd stand, ging sie doch manchmal nach oben und legte sich zu einem von uns aufs Kissen, wo sie sich wie eine schnurrende Fellmütze um den Kopf des Schläfers schlang. Im Winter war das wundervoll, im Sommer hingegen unerträglich. Im Sommer wurde sie oft aus dem Haus geworfen, zum hämischen Vergnügen der Hofkatzen.
    Die Hofhunde lagen auf der Veranda vor dem Haus, nur wenn sie im Weg waren, wurden sie neben der Scheune in den Zwinger gesperrt. Ajax, der Anführer der Hunde, war meist angenehm ermüdet
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