Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
breitete sich aus, die Luft gefror auf meiner Haut. Irgendein Idiot in der Menge schrie: »Daneben!«, und ich hätte mir fast in die Hosen gemacht. Als alle wieder zur Ruhe gekommen waren, schloss ich die Augen und fügte mich in mein Schicksal. Die Sekunden glitten vorüber, meine Bedenken wurden größer, aber ich konnte mich nicht rühren. Calebs Gesicht tauchte hinter meinen Augenlidern auf, als ein lautes Krachen die Luft durchschnitt.
Das Getrappel rennender Füße brachte mich zurück in die Wirklichkeit. Ich hörte meinen Namen und stellte fest, dass ich noch lebte. Erleichtert öffnete ich die Augen und sah über mir das, was von dem Apfel übrig war. Die Wucht des Aufpralls hatte ihn in drei Teile zerbrochen, die nun mitsamt den Bändern und der Klarsichtfolie am Pfeil steckten.
»Sam! Alles in Ordnung?«, fragte Mia und schob die Schaulustigen beiseite, um besser sehen zu können.
»Ja, glaub schon.«
»Wow, das war ja vielleicht ’ne verrückte Robin-Hood-Nummer!« Mia versuchte, den Pfeil aus dem Stamm zu ziehen, aber er rührte sich nicht. »Mann, der steckt aber echt fest.« Sie versuchte es mit beiden Händen, aber nicht mal zusammen mit Dougie schaffte sie es, ihn zu lösen.
Ich starrte den Pfeil wie betäubt an. Fünf Zentimeter weiter unten, und er hätte in meinem Kopf gesteckt.
Ich sah zu all den Leuten hinüber, fand unter den bemalten Gesichtern aber nicht das, das ich suchte. »Wo ist Caleb?«
Die Menge machte mir Platz und schien sich dieselbe Frage zu stellen. Gleich darauf hatte ich die Antwort. Im Mondlicht sah ich nur seinen Umriss, nahm aber jede einzelne verkrampfte Bewegung wahr. Leises, schmerzerfülltes Stöhnen war zu hören. Caleb krümmte sich zusammen wie eine sterbende Spinne.
»Caleb!«, schrie ich und war in Nullkommanichts bei ihm.
Etwas Scharfes, Heftiges zwang mich in die Knie. Ich spürte weder die Kälte noch den Boden unter mir, sondern nur noch das Brennen wie von Säure, das sich in meine Eingeweide fraß. Es fühlte sich an wie eine Mischung aus den schlimmsten Magenkrämpfen der Welt, einem Malaria-Anfall und einem abgedrehten LSD -Trip.
Ich übergab mich in einem heftigen Schwall und würgte noch, als längst nichts mehr im Magen war. Ich kroch zu Caleb und nahm seinen Kopf in meine Hände, und er klammerte sich an mich wie an ein Rettungsfloß. Sein Mund öffnete und schloss sich, während er sich an den Hals griff und um den nächsten Atemzug kämpfte. Er ertrank in irgendeinem geheimen Meer der Qual und zog mich mit hinunter.
Ich war nicht die Einzige, die etwas spürte. Lilith rastete komplett aus, und es kribbelte in mir, als wäre mein Innerstes voller Ameisen. Lilith schien in mir herumzukrabbeln und nach einem Ausgang zu suchen, nach einer Antwort, nach irgendwas.
Irgendwo, Lichtjahre entfernt, hörte ich das Donnern von Schritten. »Alles in Ordnung, Sam? Was ist mit Caleb los?«, fragte eine Stimme voller Panik. Schuhe knirschten auf dem gefrorenen Gras, und es erhob sich wildes Geschnatter.
»Oh Gott, seht euch ihre Augen an! Was hat sie bloß genommen?«, rief jemand.
Bevor ich antworten konnte, durchfuhren Feuerstöße meinen Körper mit einer derartigen Wucht, dass ich neben Caleb flach zu Boden ging. Meine Muskeln verkrampften sich, meine Gelenke knackten laut. Vor Schmerz und unendlichem Kummer rollte ich mich zu einer Kugel zusammen und weinte nach meiner Mutter.
Die Zeit stand still in diesen furchtbaren Augenblicken voller Angst und Qual. Hände schoben sich unter mich und hoben mich hoch. Ich hatte keine Ahnung, wer da mit mir sprach und woher die blinkenden Lichter plötzlich kamen. Noch mehr Hände griffen nach meinen Handgelenken und meinen Knöcheln, erbarmungslos und taub gegen mein Flehen, dass ich zu Caleb wollte.
Wo war er? Ging es ihm gut?
Verschwommen sah ich Mia weinen und fühlte, wie sie meine Hand drückte. Ein langes, kaltes Rohr schabte durch meine wunde Kehle und bahnte sich einen Weg nach unten. Ich hörte jemanden sprechen, laute, entstellte Geräusche, die sich irgendwie auf mich bezogen. Darauf folgte Stille, denn mein Körper hörte auf zu kämpfen. Der Tod legte einen kalten Finger an meine Lippen, flüsterte »Psst« und ließ mich schläfrig werden. Auch wenn ich nicht aufgeben wollte, welches Kind könnte diesem Schlaflied widerstehen?
7
D as Nächste, woran ich mich erinnerte, war das Aufwachen in einem Krankenhausbett. In meinem Kopf war ein winziger Bauarbeiter eifrig mit dem Presslufthammer
Weitere Kostenlose Bücher