Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
Minutenlang rührte ich mich nicht, bis die Verzögerungstaktik mir zu anstrengend wurde.
»Sie sind ein …« Es fiel mir schwer, es auszusprechen. »Sie sind ein Inkubus. Ein waschechter Inkubus.«
Er drehte sich um und sah mich fast feindselig an. »Das beantwortet die Frage, was ich bin. Aber wer bin ich?«
Diese Antwort jagte mir noch mehr Angst ein. Seit ich das Zimmer betreten hatte, hatte die Wahrheit mir vor der Nase herumgetanzt, aber nun konnte ich sie nicht länger verleugnen. Ich fummelte an meinem Armband herum, dachte an Nadine und verstand plötzlich, warum sie dieses Geheimnis so sorgfältig verborgen hatte. Erinnerungen aus ihren Geheimarchiven stiegen vor meinem inneren Auge auf. Vergangenheit und Gegenwart vermischten sich in meinem Kopf zu einem verrückten Wirbel. Fehler aus einem anderen Leben und fremde Reue zogen mich hinunter, und ich empfand unberechtigte Schuldgefühle.
Wenn ich ehrlich war, war das der wahre Grund, warum ich den Bund mit Caleb nicht besiegeln konnte und warum ich diesen Kerl nicht guten Gewissens auffordern konnte zu gehen.
»Du hattest keinen Namen, aber Nadine nannte dich Tobias«, sagte ich mit einem lähmenden Gefühl der Niederlage. »Sie gab dir diesen Namen in der Nacht, in der du Lilith ihren gabst. In der Nacht, in der du mit ihr den Bund eingegangen bist.«
11
D ie neuste Wendung war noch zu frisch, um sie zu analysieren, also verschob ich meinen Nervenzusammenbruch erst mal auf später.
Mit einem tauben Gefühl, fast so, als wäre ich gar nicht mehr in meinem Körper, sah ich zu, wie Calebs Doppelgänger ziellos auf dem Teppich hin- und hertigerte. Bald lenkte mich ein Geräusch ab, das in meinen Ohren schrillte. Es klang wie das seltsame Kreischen einer gequälten Kreatur, die um den Gnadenschuss bettelt. Dann dämmerte mir langsam, dass das Winseln von meinem ungebetenen Gast kam. Seine Brust hob und senkte sich rasch, und er atmete flach.
»Warum hechelst du so?«, fragte ich schließlich.
Er hielt inne. »So weinen wir, Samara.«
»Wie ein verletzter Hund?«, witzelte ich, aber er teilte mein Amüsement nicht. »Vergießt ihr auch Tränen?«
»Selten. Wir trauern anders als die Menschen. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst.«
»Ich glaube, ich verstehe es, auch wenn ich sonst nicht viel weiß. Mir ist schon aufgefallen, dass Lilith manchmal einem Tier ähnelt, wenn sie mit mir kommuniziert.«
»Das kommt der Sache nicht mal ansatzweise nahe. Wir sind Urzeitwesen. Wir verlassen uns nur auf unseren Instinkt. Unsere Sinne sind schärfer, als es ein menschlicher Geist je begreifen könnte, und wir spüren alles .« Seine Stimme versagte. Sein ganzer Körper spannte sich an, als wollte er gleich explodieren. »War er hier, dieser Dämonenbastard, der sie getötet hat, der sie zerbrochen und weggeworfen hat wie Müll?«
Wieder brauchte ich nicht nachzufragen, wen er meinte, aber seine Körpersprache warnte mich, vorsichtig zu sein. »Tobias …«
»War er?«, blaffte er.
»Ja. Er hat sie getötet, um an mich und meine Mutter ranzukommen.«
»Zwei Verbrechen auf einmal.« Er verdrehte die Augen in meine Richtung, sein anklagender Blick glühte vor Abscheu. »Und danach lässt du noch zu, dass seine Brut dich berührt? Dich küsst? Wie kannst du ihn auch nur ansehen nach allem, was sein Vater getan hat?«
»Es ist eher andersherum. Ich habe in dieser Nacht Calebs Vater getötet. Was glaubst du, wie er sich fühlt?« Ich hatte das noch nie laut ausgesprochen, und die Worte klangen fremd in meinen Ohren, fast vulgär. Ich hatte Calebs Vater getötet, er war das erste Leben gewesen, das ich ganz genommen und verschlungen hatte. Caleb hatte mir vergeben, hatte verstanden, dass es hatte sein müssen, aber es war nicht seine Vergebung, die ich brauchte.
Unbeeindruckt höhnte Tobias: »Sie kennen die Regeln. Sie wissen, dass man keinen Cambion töten darf, und schon gar keinen, der einen Bund eingegangen ist. Darauf steht unter euresgleichen die Todesstrafe.«
»Warum?«, protestierte ich. »Nathan Ross war wahnsinnig vor Trauer. Gerade du müsstest doch wissen, wie es ist, jemanden zu verlieren, den du liebst und zu dem du eine Verbindung hast.«
»Das weiß ich erst jetzt, dank ihm.« Er lief wieder auf und ab, noch erregter als zuvor.
Ich konnte seine Wut ja verstehen, aber er kannte nicht die ganze Geschichte. Es war nicht alles schwarz und weiß – es gab keinen Schurken, der hilflosen Jungfern auflauerte, Welpen einen Tritt versetzte und
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