Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
etwa so, wie eine Eule ein Nagertier beobachten würde.
Ich hätte inzwischen längst aus dem Haus und auf halbem Weg nach Hause sein sollen. Ich hätte nach unten rasen sollen, Haden bitten, seinen Bruder von der Decke zu holen, in mein Auto springen und die Biege machen sollen. Aber ich konnte keinen Schritt tun, bevor ich nicht sein Gesicht gesehen hatte.
»Caleb?«, flüsterte ich.
Die violetten Strahlen leuchteten wieder auf und wanderten wie Suchscheinwerfer an meinem Körper hinauf und hinunter. Sie erhellten das Zimmer, verbargen sein Gesicht und blendeten mich. Nie zuvor hatte ich seine Augen so leuchtend und lebendig gesehen, nicht mal, wenn er wütend gewesen war, aber nun musste ich mich nicht mehr fragen, ob ich getäuscht wurde. Auch wenn Tobias sich in jeden Menschen der Welt verwandeln konnte, dieses unverwechselbare Leuchten könnte er niemals imitieren.
»Wie bist du da raufgekommen?«
»Hochgeklettert«, stellte er nüchtern fest. Seine Worte klangen in Stereo durch das Zimmer.
»Warum bist du aus dem Krankenhaus verschwunden?«
»Entschuldige, dass ich nicht in einem Krankenhausnachthemd sterben wollte. Wenn ich gehen muss, dann zu Hause in ordentlichen Klamotten.« Er zeigte auf seine Jeans und das Thermounterhemd.
Seine schmutzigen Füße hafteten an der Wand, als wären sie festgenagelt. Er schien keine Schmerzen zu haben und nahm offenbar nichts wahr außer mir.
»Du gibst ihm die Schuld an Nadines Tod. Du brauchst es nicht zu leugnen! Ich habe den Hass in dir gespürt – ich konnte ihn schmecken. Ich kann ihn immer noch schmecken, bitter wie verdorbene Milch. Du musst nur wissen, wenn ich gehe, dann kommst du mit mir.«
»Wovon redest du?« Mein Verstand suchte hektisch nach der Bedeutung seiner Worte und der Situation, in der ich mich befand. »Hat dich jemand im Krankenhaus angegriffen? Bist du deswegen verschwunden?« Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu. »Caleb, ist alles in Ordnung mit dir?«
Er antwortete nicht, aber sein Blick wanderte durch den Raum, als suchte er etwas im Dunkeln. »Dieses Geräusch! Ich kann dich hören, du trauriges kleines Hündchen. Glaubst du, ich wollte das? Sie hätte in dieser Nacht nicht sterben sollen, aber ihr Geist gehört jetzt mir. Du kannst sie nicht haben! Ich werde es dir nicht leicht machen, das verspreche ich dir. Komm raus, du Feigling!«
Es ist schwer, die eigenen Gedanken zu beurteilen, wenn man sich in einem Schockzustand befindet. Aber ein Detail trat deutlicher zutage als der Rest: Caleb hatte eine Scheißangst. Sein Verstand, krank und verzweifelt, hatte sich an einen dunklen, albtraumhaften Ort vorgewagt, an den ich ihm nicht folgen konnte. Seine Furcht war echt, aber ich hatte keine Ahnung, was der Grund dafür war.
»Was ist mir dir passiert?«, fragte ich.
»Du solltest nicht dabei sein, wenn es losgeht, aber sonst kommt er nicht. Er folgt dir bis ans Ende der Welt, wenn es sein muss.« In einer einzigen, geschmeidigen Bewegung stieß sich Caleb von der Wand ab, landete auf seinen Füßen und trat vor mich. Seine angespannte, imposante Haltung verbarg seine Schlaksigkeit wie ein Anzug, der nicht ganz passt. Das galt auch für die intensive Hitze, die aus seinen fremd aussehenden Augen schoss. »Aber so weit muss er gar nicht gehen. Meine Tür steht weit offen.«
Ich wich zurück, hauptsächlich, um dem gleißenden Licht aus diesen Augen zu entgehen. Es tat weh, direkt hineinzusehen, und wenn ich die Augen schloss, hinterließ es ein Negativbild unter meinen Lidern. Das bisschen, was ich sehen konnte, ließ mir das Herz schwer werden. Seine Pupillen waren nicht nur so groß wie Vierteldollarstücke, die Iris hatte auch das Weiße in seinen Augen verdrängt. Es waren die Augen eines Tiers.
Tobias und seine Verkleidungsspielchen hatten mich gelehrt, der äußeren Erscheinung zu misstrauen, aber das war keine optische Täuschung. Nein, das war Calebs richtiger Körper, nur in einer dunkleren Version. Obwohl mir die Antwort quasi ins Gesicht gesprungen war, seit ich das Zimmer betreten hatte, musste ich es von ihm hören. »Wer bist du?«
Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete mich, als sei ich eine neue Tierart. »Erkennst du mich nicht? Schließlich hast du mir doch einen Namen gegeben.«
Mein Körper zitterte, als sich die Erkenntnis in mir Bahn brach. Ein Wirbel von Erklärungen raste mir durch den Kopf, zahllose Möglichkeiten taten sich auf, die auf diese neue Entwicklung zurückgingen. Das hatte Caleb am
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