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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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recht. Ich hasse rustikale Möbel, und Metall lässt mich frösteln. Unsere Epoche wird wegen des Plastiks in die Geschichte eingehen. Im Guten und im Schlechten wird Plastik den künftigen Generationen von uns erzählen.
    Schnittblumen stelle ich in orangefarbene, halb transparente
Röhrenvasen, davon habe ich zwei oder drei gleiche, hier und dort verstreut. Und auch die einzige Lampe, die jetzt brennt und wie ein unförmiger mineralischer Klumpen aussieht, ist aus Plastik. Als Objekt ist sie grauenhaft, das ist mir jetzt, wo ich sie in der Mitte der Nacht anschaue, vollkommen klar, doch mir gefällt das Licht, das von ihr ausgeht, es ist anheimelnd und schillernd. Alles aus Plastik. Die Schöpfkellen, der Besteckabtropfer in Form eines Kaninchens, der Korkenzieher, die Kleiderhaken, der Zeitungsständer und das Beistelltischchen neben der Couch. Die Couch selbst ist ein tolles Designerteil, aus einem Stück, perfekt geformt und bequem, ein geschmackvolles Geschenk. Nicht umsonst von Antonello. Vielleicht hätte ich auf seine idiotische Nachricht anders antworten sollen.
    »Und dann gefallen dir Rot und Orange.«
    Ich bestätige das aus reiner Höflichkeit.
    »Wieso?«
    »Keine Ahnung. Blau ist männlich und Grün deprimiert mich.«
    »Mich auch, Grün finde ich zum Kotzen.«
    (Sieh mal an, wir haben etwas gemeinsam. Ich hoffe, das reicht ihm.)
    »Dann sind hier keine blauen Sachen, weil du keinen Freund hast, keinen Mann?«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Dann hast du einen.«
    »Schlaf lieber.«
    Er lässt nicht locker.
    »Es sind nirgendwo Fotos von Männern. Nein, vielleicht hast du keinen.«
    (Wird der denn nie müde?)
    »Hast du je geheiratet?«
    »Nein. Und?«
    »Nichts.«
    »Gute Nacht.«

    Endlich schläft er.
    Doch für mich ist es schlimmer. Ich könnte irgendwas lesen, aber ich schaffe es nicht. Ich starre auf die Tür, und in meinem Kopf gehen die Gedanken durcheinander.
    Ich weiß nicht mehr, wer er ist, dieser Abschaum der Gesellschaft, der da auf meiner Couch schläft. Ich weiß nicht, wie ihn unschädlich machen. Ich weiß nicht, wem er als Nächstes etwas antun wird.
    Ich weiß nicht, ob er wirklich auf Riccardo Capuano geschossen hat, ohne sich darum zu kümmern, dass in einem Meter Abstand zwei kleine Mädchen vorbeigingen.
    Ich weiß, dass er lügt und naiv ist, ich weiß, dass er seinen Stolz hat und vielleicht einen Plan im Kopf, von dem D’Intrò und ich nichts wissen. Ich weiß, dass er nicht aufhören wird zu kämpfen, auch wenn ihm nicht mehr klar ist, auf welcher Seite. Doch er ist ein Kampfhund, er kann nichts anderes, und für ihn sind Kämpfen und Überleben definitiv dasselbe.
    Noch einmal sehe ich den Film mit alledem, was Cocíss mir erzählt hat, vor mir ablaufen, und dann fällt mir Professor Guarneri ein. Er erzählte mir einmal, dass bei der argentinischen Polizei die Rekruten der Spezialeinheiten weggeschickt wurden, um weitab von allem und allen in einer Baracke zu leben. Drei Monate lang hatten sie als einzige Gesellschaft einen Hund, und am Ende der drei Monate mussten sie ihn töten. Wer nicht in der Lage war, das zu tun, wurde ausgemustert.
    Du darfst nicht wissen, wer du bist, du darfst dich nicht fragen, wofür du tötest. Du hast kein Recht, am Leben zu bleiben, nur weil du geboren bist. Allein Angst und Schmerz. Angst und Schmerz, die schlimmer sind als der Tod.
    Cocíss zieht die Nase hoch, murmelt irgendwas und seufzt (ich habe zu intensiv an ihn gedacht).
     
    Wir erreichen die Aurelia, und es fängt an zu regnen. Cocíss hat eine grauenhafte, rosenförmige Seifendose aus mattem Plastik mit Glitzersteinchen an sich genommen, die bei mir in
einem Korb mit irgendwelchem Kram auf der Waschmaschine lag. Er hat mich gefragt, ob ich die Proben behalten wolle.
    »Nein, wirf sie ruhig weg.«
    »Es ist eine Rose«, hat er gesagt. »Wer hat sie dir geschenkt?«
    »Eine Parfümerie.«
    Über ein Versteck für das Kokain nachzudenken hat seine ängstliche Unruhe eine halbe Stunde lang besänftigt, doch jetzt muss ich ihm noch einmal sagen, dass D’Intròs Mann über alles Bescheid weiß und uns zusammen mit den Papieren auch etwas für ihn bringen wird. Ich hoffe, er glaubt mir, im Moment ist es mir lieber, wenn er nicht weiß, dass er eine große Menge Stoff in Reichweite hat.
    Wir kommen aus einem Tunnel heraus und befinden uns am höchsten Punkt einer bergab führenden Strecke. Eine Ortschaft mit Häusern, die rote Dächer haben und sich in Reihen bis hinunter ans Meer

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