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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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ziehen, während es auf der gegenüberliegenden Seite nur ein winziges Dorf gibt, nicht mehr als eine Verkrustung auf dem Rücken eines schiefen Hügels. Cocíss jedoch scheint ganz hingerissen von den weißen und roten Schornsteinen, die in den blassen Morgen ragen. Der Nebel ist fein und leicht wie Staub. Das Meer glitzert nur, wenn ein Sonnenstrahl die Wolken durchbricht, ansonsten hat es die Farbe meiner Augenschatten.
    »Das Meer scheint dort hinten aufzuhören, aber das tut es nicht«, bemerkt er. Er nimmt sich die falsche Brille ab und sieht es sich gut an. Nach kurzer Zeit führt die Straße von der Küste weg, und Cocíss dreht sich um, die Nase am Fenster, bis das Meer hinter den mit niedrigen Pinien dicht bewachsenen Hügeln verschwindet. Weit draußen über dem Meer ist der Himmel noch dunkel und wolkenlos.
    Er fragt mich, ob Hamburg am Meer liegt, und ich muss eingestehen, dass ich es nicht weiß. Ich bin sicher, dass es einen wichtigen Hafen hat, doch vielleicht liegt er in der Mündung eines großen Flusses. Als ich Cocíss beobachte, wie er sich über seinen Schnurrbartschatten streicht, habe ich fast
das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben. Ich habe ihn überredet, das schwarze T-Shirt eines Berliner Clubs anzuziehen, das ein Exfreund aus Uni-Zeiten (ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal mehr, welcher) zwischen meinen Sachen vergessen hat. Mit den blondierten Haaren wirkt Cocíss wie ein junger Student von der gemäßigt alternativen Sorte. Die Sorte, der ich irgendwann bewusst aus dem Weg gegangen bin, um nicht mit in schlechte vegetarische Restaurants und Programmkinos mit tödlich langweiligen Filmen zu müssen (so erkennt ihn wirklich niemand).
    »Ich hab nicht geglaubt, dass das Meer so schön ist, wenn man es im Ernst sieht.«
    »Was meinst du mit ›im Ernst‹?«
    »Wenn man es wirklich sieht.«
    »Du hast in deinem Leben noch nie das Meer gesehen?«
    »Ja, doch. Im Fernsehen.«
    »Aber du bist nie da gewesen?«
    »Nein. Und?«
    »Es war fünf Kilometer von dir entfernt.«
    »Ich hatte immer zu tun. Den ganzen Tag. Man kann nicht groß weg, das Geschäft muss kontrolliert werden.«
    »Und dieser Ort am Meer mit den ganzen berühmten Lokalen? Wie heißt der noch …«
    »Baia Nerva? Bist du verrückt? Dahin kannst du erst gehen, wenn du was erreicht hast. Wenn du das richtige Auto hast, um dir ein paar Frauen einzuladen, dass alle sich umdrehen. Da kannst du nicht hin, wenn du ein Jüngelchen mit einem Roller bist, wenn du noch niemand bist. Die da wissen, wer du bist, es reicht nicht, dass du ein paar gerollte Scheine in der Tasche hast. Ich gehe dahin, wenn ich’s mir leisten kann, nicht zu zahlen und das halbe Lokal in Stücke zu schlagen, ohne dass einer was sagt, verstehst du?«
    Ich verstehe und muss zugeben, dass er mich hin und wieder in Erstaunen versetzt. Dieses Raubtier weiß auch den Kopf zu erheben, Situationen zu entschlüsseln und ein bisschen weiter nach vorn zu schauen. Auch die schlimmsten
Bastarde können intelligent sein, wie Guarneri sagte. Aber macht sie das verletzbarer oder nur gefährlicher?
    Ich schalte herunter und biege in eine schmale Staatsstraße ein. Nach ein paar Kilometern ins Landesinnere müssten wir auf den Laden eines Ferienbauernhofs stoßen, der vormittags auch als Cafébar fungiert und La Conca Blu heißt.
    Der Mann mit unseren Papieren, hat D’Intrò gesagt, wartet dort auf uns.
     
    Die Bar ist eine hässliche grüne Veranda, die an einen alten, zum Teil renovierten Bauernhof angebaut worden ist. Ich klemme das Auto zwischen einen Lieferwagen und einen Anhänger mit dem nagelneuen, glänzenden Rumpf eines Boots. Cocíss macht mir die Hölle heiß. Es mag ja notwendig sein, einen von D’Intròs Männern zu treffen, aber er besteht auf die Einhaltung der Regeln: Der Hauptkommissar darf nicht wissen, wo wir sind. Konsequenz: Er will sich nicht sehen lassen und im Auto bleiben.
    Mir gefällt die Idee nicht, ich schlage mich eine halbe Stunde mit ihm herum und überzeuge ihn schließlich. Wer uns von draußen beobachtet, muss uns für ein heftig streitendes Pärchen halten. Es ist lächerlich, aber es ist besser so.
    Drinnen bin ich die einzige Frau, von der Bedienung hinter der Theke abgesehen. Als solche werde ich sofort gemustert. Nicht an allen Tischen wird Italienisch gesprochen. Ich bestelle zwei Cappuccino und halte gleich nach unserem Verbindungsmann Ausschau. In einer Ecke steht ein kräftig gebauter junger Mann auf, er trägt eine Art

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