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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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fünfzig gewesen.
    »Und du, wie hast du es kapiert?«
    »Die Schrift.«
    »Was?«
    »Die Schrift auf der Tür, die blau-weiße Schrift.«
    »Was war komisch daran?«
    »Sie war falsch.«
    »Wie: falsch? Stand da nicht ›Polizei‹?«
    Endlich atmet er aus. Er hustet und spuckt in hohem Bogen ins Gras. Lehnt sich ans Steuer und beißt sich auf die Lippe.
    »Ich sage dir, die war nicht so wie die Schrift, die ihr immer habt.«
    »Kannst du mir das erklären?«
    »Ich weiß nicht, wie erklären … klar stand da ›Polizei‹, das weiß ich auch, was glaubst du denn?«
    »Das weißt du auch? Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, dass ich nicht lesen kann, Rosa. Hast du noch nicht mal das kapiert?«
     
    Wir säubern das Auto zu Ende, doch auf den Sitzen bleiben ekelhafte dunkle Flecken geronnenen Bluts zurück.
    Wir waschen uns am Brunnen das Gesicht, die Hände und dann bis zum Ellbogen, ohne Seife. Das eiskalte Wasser kommt mir hart wie Marmor vor.
    Ich muss mir was anderes anziehen, schlüpfe mit meiner Tasche ins Auto und sage ihm, er soll weggehen.
    Cocíss findet die Zeit für ein mildes Lächeln, dann platziert er sich an der schmalen Straße, um zu kontrollieren, ob jemand kommt. Ich sehe mich im Rückspiegel an. Meine Lippe ist über den Schneidezähnen aufgesprungen, die Oberlippe bläulich geschwollen. In der Nase sind Äderchen geplatzt, im Papiertaschentuch bleiben noch ein paar Flecken.
Ich muss mit ein bisschen Grundierung und einem kirschfarbenen Lippenstift, der eigentlich zu knallig ist, aber wenigstens gut deckt, Abhilfe schaffen.
    Als ich mir gerade das Haar zusammenbinde, klingelt das Handy. Es könnte Reja sein, oder D’Intrò. Ich schaue nicht mal nach, ich will es gar nicht wissen. Wer immer es ist, ich warte, bis er aufgibt. Dann schalte ich das Handy aus und nehme die Karte heraus. Während ich die Tasche wieder im Kofferraum verstaue, kommt Cocíss zurück.
    »Scheiße, deine Leute haben dir aber echt Rache geschworen«, sage ich, bevor er etwas sagen kann.
    »Kümmere du dich lieber um deine. Zweimal bin ich durch eure Schuld schon gefunden worden.«
    Ich sehe ihn an und sage nichts (er hat recht; wo er recht hat, hat er recht). Ich setze mich auf die Bank und presse meine Hände zwischen die Knie.
    »Den Typ in der Bar, den hat der Dottor D’Intrò geschickt, stimmt’s?«
    »Was sollte ich denn machen? Ohne Tarndokumente können wir nirgendwohin.«
    Er flucht, spuckt Gift und Galle, sagt mir, dass mein Chef genauso ein Drecksack ist wie alle Bullen. Und er hat ihm auch noch vertraut, schreit er und schlägt mit den Fäusten auf den Tisch. Scheißdreckskerl , Scheißdreckskerl , wiederholt er immer und immer wieder.
    »Jetzt gib mir ein bisschen Stoff, los«, sagt er schließlich. Seine Brust hebt sich stoßweise. Seine Finger bewegen sich wie die Beine eines Insekts, das auf dem Rücken liegt. »Und ich will darüber nicht diskutieren.«
    Es ist nicht der Moment, ihm zu widersprechen. Ich mache den Kofferraum auf und (es reicht jetzt, es ist mir jetzt scheißegal) gebe ihm das ganze in Folie eingeschlagene Päckchen. Das hat Cocíss nicht erwartet. Er reißt die Augen auf: eine Fata Morgana in der Wüste, Stoff im Überfluss, das Ende der ständigen Angst, sich was besorgen zu müssen (ich hoffe, es wird ihn beruhigen). Er nimmt das Päckchen fest in die
Hand (wenn er es sich jetzt reinzieht, zerspringt sein Herz) und steckt es sich in die Tasche.
    »Warum hast du nicht auch auf mich geschossen?«
    »Du bist am Leben, reicht dir das nicht? Musst du mir noch mit Fragen auf den Sack gehen?«
    »Ich bin für dich nützlich, stimmt’s?«
    »Und ich bin für dich nützlich. Ich respektiere Abmachungen. Ich bin kein Scheißdreckskerl , Rosa.«
    Er geht in die Knie und schlägt sich an die Brust.
    »Ich bin kein Scheißdreckskerl wie der da, wie dein Chef. Das merkst du dir besser, sonst …«
    »Sonst?«
    Ich weiß nicht, wie, doch wir stehen plötzlich Stirn an Stirn, ohne uns zu berühren, aber es sind nur Millimeter, die uns trennen. Entweder ich helfe ihm, oder er bringt mich um, das ist klar. Und außerdem: Wenn er seine Abmachung mit mir nicht einhält, bin ich am Arsch.
    »Jetzt sag mir, was wir machen, los«, fordert er von mir. »Du hast doch bestimmt eine Idee, oder nicht?«
    In seinem Blick liegen Herausforderung, Angst und Vorwurf. Daniele Mastronero, genannt Cocíss, steht vor mir, ein Typ mit einem starken Nacken, einer kleinen, vollkommenen Nase und Zähnen, die wegen

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