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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Über den Ausgang des Kampfes kann man sich nur vernünftige Illusionen machen. Wir wissen jedoch zum mindesten, dass er geführt werden muss. Die modernen Eroberer können töten, scheinen aber nicht erschaffen zu können. Die Künstler können erschaffen, aber nicht wirklich töten. Man trifft unter den Künstlern nur ausnahmsweise Mörder. Auf die Länge muss die Kunst in unseren revolutionären Gesellschaften sterben. Dann sind die Tage der Revolution gezählt. Jedes Mal wenn die Revolution in einem Menschen den Künstler tötet, der er hätte sein können, entkräftetsie sich selbst ein wenig. Wenn die Eroberer schließlich die ganze Welt unter ihr Gesetz beugten, würden die damit nicht beweisen, dass die Quantität Königin, sondern dass die Welt eine Hölle ist. Selbst in dieser Hölle wäre der Ort der Kunst derjenige der besiegten Revolte, eine blinde und leere Hoffnung in der Tiefe hoffnungsloser Tage. E. E. Dwinger erzählt in seinem ‹Sibirischen Tagebuch› von jenem deutschen Leutnant, der, seit Jahren Kriegsgefangener in einem Lager, wo Kälte und Hunger herrschten, sich aus Holztasten ein stummes Klavier gebaut hatte. Dort, in dem Berg von Elend, inmitten eines Haufens zerlumpter Menschen, komponierte er eine seltsame Musik, die er allein hörte. Einmal in die Hölle geworfen, werden auch uns geheimnisvolle Melodien und grausame Bilder entschwundener Schönheit inmitten von Verbrechen und Wahnsinn das Echo jenes Aufstandes zutragen, der während der Jahrhunderte für die menschliche Größe zeugte.
    Doch die Hölle währt nur eine Zeitlang, das Leben beginnt eines Tages von neuem. Die Geschichte hat vielleicht ein Ende; unsere Aufgabe ist es jedoch nicht, sie zu beendigen, sondern sie
nach
dem Bilde dessen zu erschaffen, das wir fortan als wahr erkennen. Die Kunst lehrt uns zumindest, dass der Mensch sich nicht mit der Geschichte erschöpft und dass er auch in der Natur einen Lebensgrund findet. Der große Pan ist für ihn nicht tot. Seine instinktive Revolte fordert, während sie gleichzeitig den allen gemeinsamen Wert und die Würde betont, zur Stillung ihres Hungers nach Einheit beharrlich einen unverletzten Teil der Wirklichkeit, den man Schönheit nennt. Man kann die ganze Geschichte ablehnen und doch mit der Welt der Sterne und des Meers übereinstimmen. Die Revoltierenden, die die Natur und die Schönheit ignorieren wollen, verurteilen sich dazu, aus der Geschichte, die sie machen wollen, die Würde der Arbeit unddes Seins zu verbannen. Alle großen Erneuerer versuchen, in der Geschichte aufzubauen, was Shakespeare, Cervantes, Molière, Tolstoi zu schaffen gewusst haben: eine Welt, immer bereit, den Hunger nach Freiheit und Würde zu stillen, der jedem Menschen ins Herz gesenkt ist. Gewiss macht die Schönheit keine Revolutionen, aber der Tag kommt, da die Revolutionen ihrer bedürfen. Ihr Gesetz, das die Wirklichkeit bestreitet und ihr zugleich die Einheit gibt, ist auch das der Revolte. Kann man ewig die Ungerechtigkeit zurückweisen, ohne aufzuhören, die Natur des Menschen und die Schönheit der Welt zu grüßen? Unsere Antwort ist: Ja. Diese unbotmäßige und zugleich treue Moral ist auf jeden Fall die einzige, den Weg einer wahrhaft realistischen Revolution zu erhellen. Indem wir ihre Schönheit erhalten, bereiten wir den Tag ihrer Wiedergeburt vor, da die Zivilisation in den Mittelpunkt ihrer Gedanken, fern von den formalen Prinzipien und den erniedrigten Werten der Geschichte, jene lebendige Kraft stellen wird, welche die Welt und Menschen gemeinsame Würde begründet und die wir nun zu definieren haben gegenüber einer Welt, die sie beleidigt.

Das mittelmeerische Denken

Revolte und Mord
    Fern von dieser Lebensquelle verzehren sich Europa und die Revolution in einem spektakulären Krampf. Im vergangenen Jahrhundert schlägt der Mensch die religiösen Zweifel nieder. Kaum ihrer ledig, erfindet er neue und wieder unerträgliche. Die Tugend stirbt, aber aufersteht noch wilder als zuvor. Sie schreit jedem eine dröhnende Nächstenliebe entgegen und jene Liebe zum Fernen, die den Humanismus der Gegenwart zum Gespött macht. Bei diesem Grad von Starrheit kann sie nichts anderes als Verheerungen anrichten. Ein Tag kommt, an dem sie sich erbittert, nun wird sie Polizeimacht, und zum Heil des Menschen erheben sich abscheuliche Scheiterhaufen. Auf dem Gipfel der heutigen Tragödie werden wir nun Vertraute des Verbrechens. Die Quellen des Lebens und der Schöpfung scheinen versiegt. Die Angst

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