Canard Saigon (German Edition)
war total verwahrlost. Da ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, hatte Simon entschieden, Schliemann festzunehmen. In der Krankenabteilung der Haftanstalt würde er wenigstens eine menschenwürdige Betreuung erhalten. Als möglicher Täter war er jedenfalls auszuschließen. Bei der Durchsuchung der Wohnung hatten die Ermittler allerdings eine Adressenliste der Abonnenten seiner Hetzschriften gefunden. Auf dieser Liste waren 47 Personen erfasst. Simon hatte angeboten, diese Personen von seinen Experten überprüfen zu lassen. Vielleicht kam einer dieser Verblendeten als Täter infrage. Simon sagte eine rasche Ermittlung zu. Er würde sich spätestens Montag wieder zurückmelden, bei konkreten Hinweisen natürlich früher.
Marc informierte sein Team über die letzten Entwicklungen, den Bericht vom Gespräch mit Charles Wegner stellte er für den Moment nach hinten. Die Kollegen berichteten von ihren Befragungen, die allesamt zu keinen neuen Erkenntnissen geführt hatten.
Um 11.17 Uhr stürmte Paul Valek in den Konferenzraum. „Sorry für die Verspätung, aber ich habe etwas herausgefunden“, presste er heraus, während er sich in seinen Sessel fallen ließ. Er rang nach Atem. Die Schweißperlen auf seinem hochroten Gesicht ließen vermuten, dass er vom Parkplatz bis hierher gerannt war. Die Anwesenden blickten ihn gespannt an.
„Ich habe ...“, begann Paul und holte einmal tief Luft, „... vielleicht eine wichtige Zeugin gefunden.“ Er machte wieder eine Pause und atmete ein paarmal tief durch. Mit einem Papiertaschentuch, das er aus einer Hosentasche fingerte, tupfte er sich den Schweiß vom Gesicht.
„Ich bin einem Tipp nachgegangen und habe heute mit einer Geheimprostituierten gesprochen. Die Biene nennt sich Carmen, ist Bulgarin und betreibt in ihrer Wohnung eine strenge Kammer. Genauer gesagt, sie hat ein Zimmer als Folterkammer eingerichtet. Carmen gilt als Geheimtipp in der Szene, die den Ruf hat, für Geld alles zu machen. Und mit sich machen zu lassen. Sie hat keine Arbeitsgenehmigung und war ziemlich verschüchtert, als ich meinen Dienstausweis zückte. Erst war sie verstockt, aber nach ein paar aufmunternden Worten wurde sie redselig. Scheinbar wollte sie nicht unbedingt nach Bulgarien zurück, wie ich angeboten hatte. Sie erzählte mir, dass sie nicht viele Freier habe, aber die, die zu ihr kommen, zahlen so gut, dass sie bestens davon leben könne. Und jetzt kommt der Hammer.“ Red Bull Pauli machte eine kleine Pause und sah triumphierend in die Runde. „Carmen hat Dr. Klein als einen ihrer Stammkunden identifiziert.“
Ein Raunen ging durch die Gruppe.
„Ich wusste es“, rief Martin Schilling. „Der Kerl ist ein Schwein, ein unreines. Und, welche Praktiken bevorzugt der feine Herr?“
Paul sah ihn an und grinste. „Fesselspiele, lieber Freund, Fesselspiele. Carmen sagt, dass er in unregelmäßigen Abständen bei ihr auftaucht. Er steht auf Rollenspiele, bei denen er der Kerkermeister und sie seine Sklavin ist. Die Varianten der Sexspiele umfassen sämtliche Arten von Bondage. Von Seilfesselungen über Ketten, Plastikwickelungen bis hin zum Pranger sei alles dabei gewesen. Und ja, er hat auch Handschellen verwendet. Und ja, er hat sie auch eingeölt. Und ja, er hat sie auch gewürgt.“ Dabei schlug er bei jedem Ja mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch.
Martin sprang aus seinem Sessel. „Jetzt haben wir ihn“, rief er und streckte triumphierend die geballte Faust noch oben. Er lief zu Paul und klopfte ihm auf die Schulter. Die restlichen Ermittler teilten die unverhohlene Freude. Sie riefen durcheinander und klatschten ab, als hätten sie eben den Super Bowl gewonnen. Es schien, als wäre eine Last von ihren Schultern gefallen.
Marc saß in seinem Sessel und lächelte. Er freute sich auch, endlich einen konkreten Tatverdächtigen zu haben. Gefangen von der euphorischen Stimmung, erhob er sich. Er betrachtete die Gruppe und wartete, bis sich die erste Aufregung legen würde. Dann wollte er gratulieren. Während er so dastand, fiel sein Blick auf Sandra Kessler. Sie lächelte zwar, verhielt sich aber passiv. Alle anderen waren mittlerweile aufgestanden und sprachen aufgeregt aufeinander ein. Sandra war sitzen geblieben. Erst nestelte sie ein wenig an ihrem Hosenanzug herum, dann verschränkte sie ihre Hände vor der Brust. Dabei legte sie die Finger ihrer linken Hand auf ihre Lippen und starrte auf einen imaginären Punkt auf dem Konferenztisch. Sandras Anblick ernüchterte Marc
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