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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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manche Menschen mehr
bedeuten
als andere.« Er seufzte, weil er merkte, dass er es nur noch schlimmer machte   … und plötzlich begriff ich, was ich da gerade tat. Ich verdrehte seine Worte und zwang ihn dazu, sich zu verteidigen, obwohl er nichts zu verteidigen brauchte. Im Grunde genommen manipulierte ich ihn. Ich wusste, dass das nicht in Ordnung war, und spürte, wie sich Schuldgefühle in mir breit machten   …
    Aber ich versuchte sie zu ignorieren.
    Saß schweigend da.
    Pflegte meine falsche Empörung.
    »Also gut«, sagte Dad schließlich. »Wo ist das Konzert überhaupt?«
    Ja
, dachte ich.
    »In Hammersmith«, sagte ich leise.
    |126| »Wann ist es zu Ende?«
    »Nicht sehr spät   … ich könnte wahrscheinlich um elf Uhr zurück sein.«
    Er nickte langsam. »Also gut   … ich werde darüber nachdenken.«
    »Danke, Dad.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass du gehen darfst – ich habe nur gesagt, ich werde darüber nachdenken. Also glaub nicht, du hättest mich schon herumgekriegt, denn das hast du nicht – verstanden?«
    »Natürlich.«
    »Und«, fuhr er fort, »welche Entscheidung ich auch fälle, ich will keine Widerrede hören. Es ist meine endgültige Antwort, ohne weitere Diskussionen, in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Ich meine es ernst, Joe. Ich möchte, dass du mir dein Wort gibst, die Entscheidung zu akzeptieren, andernfalls werde ich erst gar nicht darüber nachdenken.«
    »Okay«, sagte ich, »ich versprech es.«
    Er sah mich zweifelnd an.
    »Pfadfinder-Ehrenwort«, sagte ich und bemühte mich um eine gewisse Aufrichtigkeit. »Ich schwöre.«
    »Das ist kein Scherz.«
    »Ich weiß. Ich bin ganz ernst, Dad – ich meine es wirklich. Das verspreche ich   …«
    Ein weiterer Blick, diesmal ein kleines bisschen warmherziger, dann holte er tief Luft, streckte seinen Rücken und stieß einen schweren, lang gezogenen Seufzer aus.
    »Gut«, sagte er. »Dann sieh mal zu, dass du in die Gänge |127| kommst. Mach dir noch was zu essen und danach wär’s wahrscheinlich das Beste, du gehst früh schlafen.«
    »Okay«, sagte ich und stand auf, erleichtert, dass endlich alles vorbei war.
    »Und, Joe   …?«, fügte Dad noch hinzu.
    Ich schaute zu ihm herab. Plötzlich wirkte er sehr alt. Müde und grau, sein langes Gesicht fahl und durchzogen von Falten, sein Körper eingezwängt in einen strengen dunklen Anzug, der längst aus der Mode war   …
    Er sah aus, als ob er nie jung gewesen wäre. Nie etwas anderes als alt.
    »Ja, Dad?«, sagte ich.
    Sein Blick fixierte einen Moment lang traurig meine Augen und ich dachte, er würde noch etwas sagen, etwas, das uns vielleicht beiden unangenehm wäre   … aber nach ein, zwei Sekunden blinzelte er die Traurigkeit fort und sagte: »Nichts   … es ist nichts. Mach schon, verschwinde. Bis dann.«
    »Ja   … okay. Tut mir Leid, das Ganze   …«
    Er nickte schweigend und starrte auf die Tischplatte.
    Einen Augenblick stand ich da und wusste nicht, was ich tun sollte. Ein Teil von mir wollte noch etwas sagen, wollte Dad teilhaben lassen an meinen Gedanken, wollte ihm zeigen, dass ich es ehrlich meinte; aber ein anderer Teil – der feige – wollte einfach nur weg von ihm. Und der Teil war stärker.
    Also sagte ich, den Kopf voller widersprüchlicher Gefühle, Gute Nacht, drehte mich um und schlurfte hinaus.
     
    Es ist merkwürdig, wie leicht man seine eigenen Lügen glaubt. Die ganze Zeit, als ich in Dads Arbeitszimmer war, die ganze Zeit, als |128| er mir Vorträge hielt über Verantwortung, Disziplin und darüber, dass ich mein Leben vergeudete, die ganze Zeit, während ich mich entschuldigte, die Schule geschwänzt und den Tag in London verbracht zu haben   … die ganze Zeit über war es mir nicht ein Mal in den Sinn gekommen, dass ich das Blaue vom Himmel log. Was mich betraf,
war
ich nach London gefahren, um ein Problem im Zusammenhang mit unserem Auftritt zu klären. Es hatte wirklich nichts zu bedeuten. Es tat mir tatsächlich Leid. Und es würde nicht wieder vorkommen.
    Ich glaubte das.
    Es war die einzige Möglichkeit, mit der Lüge zu leben.
    Aber sobald ich aus Dads Arbeitszimmer raus war, überfiel mich plötzlich die Wahrheit. Die echte Wahrheit   – Candy, der Zoo, die Mondscheinwelt   –, und ich merkte, dass ich bestraft worden war für etwas, das ich überhaupt nicht getan hatte. Zugegeben, ich hatte etwas viel Schlimmeres getan und war noch mal davongekommen, aber trotzdem   …
    Trotzdem was?
, sagte die Stimme in meinem Kopf.
Du hast

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