Cappuccino fatale
die
beiläufige Frage hinter mir, während ich gerade versuche, mein mit entschieden
zu wenig Promille geladenes Glas auf der Fensterbank hinter einem weißen
Vorhang loszuwerden.
Ich drehe mich zurück zu Eduardo, der mich konzentriert fixiert,
offensichtlich, ohne von meiner Beschäftigung Notiz zu nehmen.
»Was meinst du?« Hoffentlich habe ich mich gerade verhört.
»Na ja, ich habe dich gefragt, ob du die Charaktere kennst, die du
in deinen vorherigen Leben warst.«
Ich mustere ihn eindringlich und suche nach einem Zeichen, dass er
mich gerade gehörig auf den Arm nimmt. Aber nichts zu entdecken.
»Warum sollte ich die kennen?«, frage ich vorsichtig.
»Das ist so immens wichtig«, schnauft mein Gegenüber voller
Inbrunst, als hätte ich ihn gerade nach der Relevanz einer warmen Mahlzeit pro
Tag befragt. »Die Kenntnis über deine vorherigen Leben gibt dir Aufschluss über
dein Leben im Jetzt und lässt dich deine Ängste besser verstehen.«
Meine aktuellen Ängste drehen sich erstens darum, heute kein
ordentliches Glas Rotwein mehr in die Hand zu bekommen, und zweitens um meine
teuren Schuhe, die alleine und unbewacht etliche Meter von mir entfernt im Flur
herumstehen. Ganz zu schweigen von meinen Ängsten in Liebesdingen. Ich
beschließe, Eduardo meine Sorgen nicht mitzuteilen, sondern lieber über ihn zu
sprechen.
»Aha, wer bist du denn früher so alles gewesen?«, gebe ich mich also
interessiert.
»Ach«, er macht eine weitschweifende Handbewegung. »Ich bin schon so
oft inkarniert worden, ich kann dir das alles gar nicht aufzählen«, informiert
er mich mit gewichtiger Miene. »Aber am wichtigsten für meine Entwicklung war,
dass ich um 1630 herum ein Indianerhäuptling im heutigen Amerika war. Mein
Zwillingsbruder wurde in einer Schlacht von den Briten getötet. Daher meine
ständige Rastlosigkeit: Ich suche und vermisse ihn bis heute.«
»Oh, das tut mir sehr leid«, sage ich bekümmert. Ein paar
Augenblicke schweigen wir gemeinsam betroffen über den grausamen Tod seines
Zwillingsbruders vor rund vierhundert Jahren.
»Was steht ihr denn hier so traurig herum?«, werden wir jäh aus
unserer Meditation gerissen.
Eine bildschöne, hochgewachsene schlanke Frau mit roter Lockenpracht
in wallenden Gewändern (und barfuß) baut sich neben uns auf und stemmt die
Hände in ihre Wespentaille. Dann wendet sie sich mir zu. »Ich kenne dich
nicht«, stellt sie pragmatisch fest. »Ich bin Annabella.« Sie streckt mir
resolut die Hand entgegen.
»Ich heiße Nina.« Ich mustere die Frau, der ich unbeschuht ohne
etwas Anständiges zu trinken in ihrer weißen, positiv aufgeladenen Wohnung
ausgeliefert bin. Sie macht einen weitaus sympathischeren Eindruck, als ich in
der letzten halben Stunde erwartet hätte. Ja, auf den ersten Eindruck mag ich
sie sogar richtig.
»Schöne Wohnung, complimenti «, wechsele
ich zum Smalltalk über.
»Danke, danke, ja, ich liebe sie auch.« Annabella schaut sich
wehmütig um. »Leider bin ich viel zu selten hier. Immer unterwegs.«
»Wieso, wo bist du denn?«, will ich wissen.
»Auf Reisen. Ich bin Fotomodel. London, Paris, New York, Tokio – wo
man halt gerade so gebucht ist, verstehst du?«, seufzt sie und schüttelt ein
paar Locken zurück in den Nacken.
Ich gebe mich mitfühlend, als wäre dieses Jet-Set-Leben auch mein
größtes Elend. Der letzte Flug vor meiner Abreise nach Mailand war der vor
vielen Monaten nach Ibiza mit Earlyjet. Dabei wurde ich durch den Lautsprecher
angebrüllt, ich säße nicht in den Reihen eins bis zehn und müsse daher noch
warten, bis ich aufgerufen würde. Annabella hingegen sieht aus, als hätte man
ihr einen Flug unter dem Niveau der Business Class noch niemals angetan.
»Tja, meine Lieben«, sie klatscht in die Hände, »dann amüsiert euch
gut. Ich werde jetzt mal für die Musik sorgen. In der Küche ist ein Buffet
aufgebaut, bedient euch.« Mit diesen Worten stürzt sie sich ins Getümmel ihrer
Gäste und rauscht davon.
Ich folge Eduardo in die Küche, wo auf der Anrichte einige
biologisch abbaubare Häppchen und Salate stehen. Während ich mir ein paar
Snacks auf den Teller lade, bleibe ich mich dem Fuß an einer winzigen
Fliesenkante hängen und spüre, ohne nachschauen zu müssen, dass meine gute
Strumpfhose dabei draufgegangen ist. Die Laufmasche hat wie befürchtet bereits
ihren Weg zum Knie gefunden.
»Ist was?«, will Eduardo wissen, der meine saure Miene erspäht hat.
»Nein, nein, alles okay«, beeile ich mich zu
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