Cappuccino fatale
neben mir liegt, und beißt davon ab.
»Weißt du, hier in Neapel hat viel Unheil seine Wurzeln. Die Camorra
mag hier ihren Sitz haben, aber ihre Äste und Ästchen, die wachsen bis ins
Umland. Arbeitslosigkeit, illegale Mülldeponien, Massen junger Leute, die
nichts zu tun und keine Perspektive haben. Das alles findest du da draußen.
Weißt du, warum so viele junge Menschen der Camorra zulaufen? Aus Langeweile.
Aus banaler Langeweile.« Er lacht bitter und knabbert frustriert an seinem
Schokoriegel.
»Und deine Familie?«, frage ich vorsichtig. »Was macht die?«
»Meine Mutter ist vor über zehn Jahren gestorben. An Krebs. Hatten
plötzlich ganz viele bei uns in der Nachbarschaft, keine Ahnung, was da über
uns gekommen ist. Und mein Vater … der ist zurück zu meinen Großeltern nach
Kampanien gegangen und lebt wahrscheinlich mehr schlecht als recht von seiner
mickrigen Rente. Wir haben keinen Kontakt mehr«, fügt er hinzu.
Ich beschließe, nicht zu fragen, weshalb. »Hast du Geschwister?«,
will ich hingegen wissen.
»Ja, zwei Schwestern und einen älteren Bruder«, zählt er auf. »Meine
Schwestern haben beide geheiratet und fristen ein trostloses Hausfrauendasein
an der Seite ihrer Männer, die trinken und sie betrügen. Ich unterstütze meine
fünf Nichten und Neffen, wo ich nur kann, und hole sie ab und an zu mir. Mein
Bruder hingegen hasst mich. Aus Neid natürlich. Er arbeitet in einer Fabrik in
der Nähe von Salerno. Dass ich es bis hierher geschafft habe«, er macht eine
Geste auf seine Wohnung und zum Meer, »hat bei ihm weiß Gott keinen
Freudentaumel ausgelöst.«
»Du hast dich bei den Contis hochgearbeitet und eine echte Karriere
hingelegt. Sicher hart für drei Geschwister, die auf der Strecke geblieben
sind«, bestätige ich ihm.
»Ja, ganz sicher.«
»Und dann kam Cristina …«, ermuntere ich ihn zaghaft. Ich will jetzt
alles wissen, die ganze Geschichte.
Paolo lacht.
»Nicht sofort.« Er schaut mir verschmitzt in die Augen und streicht
mir über die Haare. »Ich gestehe«, er hebt entwaffnend die Hände zur Decke,
»sie war nicht die erste Frau in meinem Leben.«
Wir lachen beide.
»Aber sie war die erste von Bedeutung für mich.« Er wird wieder
ernst. »Die erste Frau, bei der ich das Gefühl hatte, angekommen zu sein. Nicht mental. Eher materiell, wenn man das so sagen kann. Mit ihr
hatte ich das Gefühl, endlich in die richtigen Kreise gelangt zu sein. Dorthin,
wo ich immer hinwollte. Keine hysterischen Capua-Vetere-Mädchen mit zu viel
Make-up und leicht entflammbaren Klamotten, sondern eine Frau mit Klasse und
Stil. Dabei hatte Cristina keine Ahnung, was da draußen los ist. Sie
interessiert sich für nichts, was in irgendeiner Art und Weise unangenehm ist.
Sie kann es sich leisten wegzuschauen, musste nie wirklich arbeiten, hat alles
und was sie noch braucht, das kaufen ihr ihre reichen Eltern. Ihre
Oberflächlichkeit und Ahnungslosigkeit waren geradezu erleichternd für mich.
Sie hat mich meine Herkunft vergessen lassen.«
»Wie lange wart ihr zusammen?«
»Etwas über drei Jahre. Pienzo, ihrem Vater, war ich immer ein Dorn
im Auge. Für ihn war ich ein armer Dahergelaufener aus der Pampa, auch wenn ich
eine Art Protegé seines Busenfreunds Conti bin. Cristina und ich haben uns auch
auf einem der berühmten Sommerfeste der Contis kennengelernt. Na ja.« Er holt
tief Luft. »Jedenfalls dachte ich irgendwann, ich müsste ein Zeichen setzen und
um ihre Hand anhalten. Auch wenn die Leidenschaft zwischen uns längst auf der
Strecke geblieben war. Unsere Verlobung war eher der nächste Schritt in einer
logischen Abfolge statt eine Entscheidung aus Liebe. Cristina hatte erwartet,
dass ich sie frage. Alle hatten das erwartet. Also habe ich sie gefragt.«
»Wann wäre die Hochzeit gewesen?«
»Im Juli.«
»Meine Güte. Im Juli schon.« Ich atme tief durch und reibe mir
nervös die Finger. »Na, da kann ich aber gut verstehen, dass ihr Vater dich
gestern alles andere als freundlich begrüßt hat«, füge ich zynisch hinzu. »Wenn
ich an seinen Blick denke, wird mir immer noch heiß und kalt.«
»Hmm«, er zögert, »so hat Pienzo mich oft angeschaut. Ich hätte es
ihm niemals recht machen können. Weder so noch so. Daher … du kamst gerade
richtig.«
»Meinst du?«
»Nein, das weiß ich.«
Wieder küssen wir uns und ich kuschele mich erneut an seine
Schulter.
Ich mag der Grund einer zerstörten Verlobung sein, aber ich gestehe:
Es fühlt sich gut an. Es fühlt sich
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