Caras Schatten
übrig blieb, war ein Haufen grauer Asche.
Als Cara aufblickte, klopfte es an der Tür. Ihr Herz machte einen Satz, und sie wirbelte herum. Es klopfte erneut. »Cara?«
Es war Mom. Ihre Stimme klang eindringlich und besorgt.
»Cara!«
Bevor Cara etwas erwidern konnte, hörte sie, wie die Tür aufging. Sie kniff die Augen zusammen und wartete auf Moms Schrei, wenn sie Zoe erblickte. Doch es folgte kein Schrei. Nur Stille. Cara öffnete die Augen und spähte vorsichtig durch die Badezimmertür.
Mom stand einfach nur da. Sie trug immer noch ihr graues Kostüm, und die Aktentasche baumelte ihr am Arm. Sie hatte die Rückseite ihrer freien Hand vor den Mund gepresst. Als sie sich umdrehte, um ihre Tochter anzusehen, erschrak Cara. Ihre Mutter sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Cara«, sagte sie beinah flüsternd. »Dein Zimmer …«
Cara sah sich flüchtig im Raum um. Zoe war nirgends zu sehen. Sie musste sich unter dem Bett versteckt haben. Moms Blick fiel auf den kaputten Schrank, die angetrockneten Teller, die dreckigen Laken auf dem Bett.
Vorsichtig stellte Mom ihre Aktentasche bei der Tür ab und stieg über einen Haufen Kleidung hinweg. Sie setzte sich auf die Bettkante. Es war irgendwie seltsam, statt Zoe ihre Mutter dort sitzen zu sehen. »Liebling, sag mir, was hier los ist«, verlangte Mom. Ihr Mund war angespannt. Sie hatte die Hände im Schoß verschlungen und musterte Cara, als würde sie sich auf etwas Schlimmes gefasst machen.
Cara schluckte. Sie glaubte für einen Moment, Zoes Augen unter dem Bett hervorblitzen zu sehen. Doch als sie blinzelte, waren die Augen verschwunden.
»Cara!« Moms Stimme klang scharf.
Cara zuckte zusammen. »Was?«
»Dein Zimmer, Liebling, ich rede von deinem Zimmer.« Moms Stimme brach. Sie musste sich sichtlich zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Konzentrier dich, okay? Was ist hier passiert?« Sie machte eine ausschweifende Handbewegung.
Cara atmete tief ein. Als sie antwortete, wunderte sie sich, wie ruhig und fest ihre Stimme klang. »Ich weiß, es sieht ein bisschen chaotisch aus, Mom. Tut mir leid. Aber ich hatte mit Leichtathletik und Schule so viel um die Ohren, dass ich einfach nicht zum Aufräumen gekommen bin. Ich werd mich drum kümmern, versprochen.«
Mom schüttelte den Kopf. »Ich will nur wissen, ob es dir gut geht. Das hier sieht mir nicht danach aus.«
»Mir geht’s gut !« Die Augen unter dem Bett waren zurückgekehrt. Cara brachte ihre Stimme unter Kontrolle. »Mir geht’s gut«, wiederholte sie etwas leiser.
Ihre Mutter seufzte und stand auf. »Das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe. Erst mal werde ich mit deinem Vater sprechen müssen.« Sie nahm ihre Aktentasche. »Ich mache mir Sorgen, Cara. Große Sorgen.« Sie öffnete die Tür, und Cara machte sie mit außergewöhnlicher Sorgfalt hinter ihr zu.
Kapitel 21
A m Freitagmorgen ging Cara eigentlich nur der Form halber zur Schule. Sie konnte sich kein bisschen konzentrieren. Man kam ihr allmählich auf die Schliche. Mom würde heute garantiert erneut versuchen, mit ihr zu reden. Und Dad würde sich ebenfalls einschalten. Und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Zoe fanden.
Erst beim Leichtathletiktraining gelang es Cara, an etwas anderes zu denken. Die Sonne schien ihr aufs Haar, und eine frische Herbstbrise gab ihr die Hoffnung zurück, dass ihre Welt nicht völlig in sich zusammenbrechen würde.
»Auf geht’s, hopp, hopp!«, rief Coach Sanders. Er klatschte in seine großen, fleischigen Hände, und Cara zuckte zusammen. Jedes Geräusch schien ihr Trommelfell schmerzhaft zu durchbohren. Cara stand zusammen mit den anderen Mädels auf der Bahn. Sie hatte ihren kuscheligen Trainingsanzug vergessen, sodass sie nun kalt und entblößt auf die Anweisungen des Trainers warten musste.
»Vier mal vierhundert Meter Staffel, alle zusammen«, verkündete der Coach. »Zählt bitte durch.« Cara war Nummer drei, genau wie Sarit und Julie. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihr das letzte Mal so wenig nach Laufen zumute gewesen war. Und ihre Augen tränten wie verrückt. Cara wischte sich die Feuchtigkeit weg und betrachtete ihre Hände. Eine schmierig schwarze Mascaraschicht klebte an ihren Fingern. Was zum Teufel war das? Sie schminkte sich nie. Vielleicht hatte Zoe im Schlaf versehentlich etwas von ihrer Schminke an Caras Gesicht geschmiert. Oder Zoe schminkte Cara heimlich, während sie schlief. In letzter Zeit
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