Caravan
geht zu Vitali, mustert den
zusammengesackten Körper und murmelt etwas. Als Andrij gerade durch die Küchentür verschwinden will, sieht er auf. Ihre Blicke
treffen sich. Vulk macht einen Satz auf ihn zu, doch Gilbert hält ihn mit einem muskulösen Arm auf.
»Tut mir leid, Sir. Wir haben geschlossen.«
Vulk versucht, an Gilbert vorbeizukommen, und drischt mit den Blumen auf ihn ein, aber Gilbert ist so groß wie er. Er lässt
ihn nicht durch.
»Haben Sie nicht gehört? Wir haben zu.«
»Hrr!« Mit einem kräftigen Stoß bahnt sich Vulk den Weg |285| in die Küche. Doch die paar Sekunden, die Gilbert ihm verschafft hat, reichen Andrij, um Irina zu packen, sie mit in die Speisekammer
zu zerren und von innen abzuschließen. Klack.
Es ist kalt in der Speisekammer und es riecht nach Zwiebeln. Der Lichtschalter ist außen. Im Dunkeln warten sie und lauschen.
Irina zittert und wimmert. Er hält sie fest, legt ihr die Hand auf den Mund, damit sie still bleibt. Er spürt, wie das Herz
in ihrer Brust springt. Auf der anderen Seite der Tür hören sie Vulk, der in der Küche randaliert. Geschirr wird zerschlagen,
ein Topf rollt scheppernd über den Boden, und dann brüllt er wie ein wildgewordenes Tier: »
Kleinerr Blume
!« Ein Rütteln an der Tür der Speisekammer, die Klinke wird gedrückt, aber das Schloss hält. Jemand knipst den Lichtschalter
an und aus, und einen Moment lang sehen sie einander in die angsterfüllten Augen.
»Kleinerr Blume! Du nix versteck vor Vulk. Ich finde überall!«
Dann ist es wieder dunkel.
Er hält sie noch fester. Kurz darauf hört er Gilbert.
»Was zum Teufel machst du hier? Raus hier, du Arschloch!«
Dann knallt und kracht es wieder, jemand schreit, Vulk oder Gilbert oder sonst jemand. Dann ist es plötzlich still in der
Küche. Von ferne hören sie Sirenen.
»Ist er weg?«, flüstert Irina.
Andrij lauscht. »Ich glaube schon.«
So leise es geht, dreht er den Schlüssel im Schloss und öffnet die Tür einen Spalt. Im Gastraum hört er Stimmen, aber die
Küche ist leer. Er geht auf Zehenspitzen zur Spülküche. Keiner da. Auch in der Garderobe ist niemand. Er wirft einen Blick
durch das hintere Fenster. Der Hof ist leer. Dann holt |286| er seinen Rucksack und Irinas gestreifte Tasche aus der Garderobe – seit dem Zwischenfall mit den Kindern lassen sie nichts
Wertvolles im Wohnwagen – und kehrt zur Speisekammer zurück. Die Tür ist verriegelt. Sie hat sich wieder eingeschlossen. Leise
klopft er an.
»Mach auf. Schnell. Ich bin es.«
Er hört, wie sich der Schlüssel dreht. Klack. Sie öffnet zwei Zentimeter und steckt die Nase heraus.
»Ist er weg?«
»Ja. Hauen wir ab!«
Andrij nimmt Irina bei der Hand, und zusammen schleichen sie sich durch die Küche, dann zur Hintertür hinaus ins Freie. Niemand
in Sicht. Als sie auf der Straße sind, fangen sie an zu rennen. Jetzt sind überall Sirenen zu hören. Er hat sich die Taschen
über die Schulter gehängt, hält ihre Hand und zieht sie mit. Der Wohnwagen ist nur ein paar Blocks entfernt. Zumindest dachte
er das. Vielleicht am nächsten Block. Nein? Vielleicht am nächsten? Nein, es war bestimmt da drüben, hinter den Mülltonnen.
Sie kehren um. Jetzt rennen sie nicht mehr, sondern gehen keuchend. Sie gehen noch ein paar Mal um den Block, bis sie einsehen,
dass der Wohnwagen weg ist.
Er setzt sich auf das Pflaster und legt den Kopf in die Hände. Als er die Beine ausstreckt, fühlen sie sich an wie Blei. Sein
Herz klopft immer noch wie wild. Der Wohnwagen und der Landrover. Die Schlafsäcke. Ein paar Kleider. Die Karotten. Die Wasserflaschen.
Alles weg.
»Hund! Sie haben sogar Hund mitgenommen!«
Doch im selben Moment, als ihm klar wird, was er alles verloren hat, denkt ein anderer Teil von ihm, du bist am Leben, Andrij
Palenko, und der Mobilfon-Mann ist tot. Sein Blut trocknet an seinem schicken Anzug, und deins pumpt durch deine Adern. Und
du hast das Mädchen im Arm gehalten |287| und hast ihren Körper gespürt, weich und fest, zart und geschmeidig, mit sanften Kurven. Und jetzt willst du mehr.
Aber genau da liegt das Problem: Alle wollen mehr – der Mann mit dem Zwanzigpfundschein, Vulk, Vitali und die zwielichtigen
Kohorten ihrer Kunden – sie alle wollen, was du willst. Sich im süßen Teich ihrer Jugend baden. Dieses anständige junge Mädchen,
frisch wie der Monat Mai. Und das spürt sie auch. Kein Wunder, dass sie zittert wie ein gejagter Hase. Kein Wunder, dass
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