Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
eindeutig leichter geworden. Kein Wort darüber, dass er viermal zur Toilette hatte rennen müssen, keine genierten Blicke wegen der unzähligen Grenzen, die er bei ihr womöglich überschritten hatte. Sie war eine Frau, die in sich ruhte, und sie hatte ihm gezeigt, dass sie ihm gehörte.
»Hier, Carl.« Sie stellte ein Tablett neben ihn. Verlockende Gerüche und zwischen allem lag ein Schlüssel.
»Das ist deiner«, sagte sie und schenkte Kaffee ein. »Benutz ihn mit Bedacht.«
Er nahm ihn und wog ihn in der Hand. Nur zweieinhalb Gramm, dachte er, und doch der Zugang zum Paradies.
Dann drehte er das kleine Plastikschildchen um, das daran hing, und las: Liebhaber-Schlüssel.
Das Schildchen fand er nicht ganz so doll. Das sah ein bisschen zu abgenutzt aus.
Viermal hatten sie bei Mie Nørvig angerufen, viermal vergebens.
»Wir schauen mal kurz vorbei, ob sie zu Hause sind«, sagte Carl, als sie mit dem Dienstwagen in die Nähe von Halsskov kamen.
Wie ein Wohnwagen, der für den Winter vorbereitet war, sah das Haus aus. Die Fensterläden geschlossen, der Carport leer. Selbst das Wasser hatten sie abgestellt, konstatierte Carl, als er den Hahn für den Gartenschlauch überprüfte.
»So kann man auch nichts erkennen«, sagte Assad, der an der Rückseite des Hauses die Nase zwischen die Ritzen der Fensterläden gesteckt hatte.
So ein Scheiß!, dachte Carl. Die ehrenwerten Bewohner waren offensichtlich ausgebüxt.
»Wir könnten einbrechen.« Assad grub schon in der Hosentasche nach seinem Taschenmesser.
Der hatte wahrlich keine Hemmungen.
»Um Gottes willen, Assad, steck das Ding wieder ein. Wir schauen auf dem Rückweg noch mal vorbei. Vielleicht haben wir dann mehr Glück.«
Aber natürlich glaubte er das selbst nicht.
»Das dort ist Sprogø.« Carl deutete zwischen die Stahltrossen der Brücke.
»Sieht gar nicht mehr so schlimm aus, wie es damals dort gewesen sein muss«, meinte Assad, der seine Beine auf dem Armaturenbrett abgelegt hatte. Konnte dieser Mann nicht einfach mal normal im Auto sitzen?
»Wir nehmen die Abzweigung hier«, sagte Carl, als sie sich der Abfahrt zur Insel direkt nach der Hochbrücke näherten. Er bog ab und fuhr auf eine Schranke zu. Allem Anschein nach war sie abgeschlossen. »Komm, wir halten hier einfach.«
»Ja, und dann? Dann musst du rückwärtsfahren, um wieder auf die Autobahn zu kommen. Du spinnst ja wohl.«
»Ich schalte beim Rückwärtsfahren das Blaulicht ein, dann werden die Leute einen Bogen um mich machen. Nun komm schon, Assad. Wenn wir erst rumtelefonieren, um eine Erlaubnis zu erhalten, ist der Tag hin.«
Keine zwei Minuten später sahen sie eine Frau schnurstracks auf sich zugehen. Kurze Haare, neonorangene Jacke mit reflektierenden Querstreifen, dazu sehr elegante High Heels - eine Kombination, die wahrlich zum Nachdenken anregte.
»Hier dürfen Sie sich nicht aufhalten, bitte fahren Sie augenblicklich weiter! Wir sorgen dafür, dass die Schranke kurz geöffnet wird, dann können Sie weiter nach Fünen fahren oder Sie wenden und kehren zurück nach Seeland. Und das schnellstmöglich.«
»Carl Mørck, Sonderdezernat Q«, sagte er nur und hielt ihr seine Marke hin. »Das ist mein Assistent und wir ermitteln in einem Mordfall. Haben Sie die Schlüssel parat?«
Das zeigte schon eine gewisse Wirkung, aber ganz ohne Autorität war sie ja nun auch nicht. Sie trat ein paar Schritte zur Seite und hielt ein Funkgerät ans Ohr, die Verantwortung ihres Amtes schien schwer auf ihren Schultern zu lasten. Nach etwas Palavern drehte sie sich um.
»Hier«, sagte sie und reichte ihm das Funkgerät.
»Carl Mørck, Sonderdezernat Q, Polizeipräsidium Kopenhagen, mit wem spreche ich?«
Der Mann am anderen Ende stellte sich vor. Offenbar eines der hohen Tiere aus der Verwaltung der Belt-Brücke in Korsør. »Sie können nicht einfach ohne Voranmeldung nach Sprogø fahren, das werden Sie einsehen«, lautete seine knappe Ansage.
»Ich weiß. Und ich kann auch nicht einfach einem Massenmörder gegenüber meine Pistole ziehen, wenn ich kein ausgebildeter Polizeibeamter im Dienst bin. So ist die Welt nun mal, nicht wahr? Ich verstehe Ihre Haltung. Aber zufälligerweise haben wir es sehr eilig, weil wir in einer ausgesprochen ekelhaften Verbrechensserie ermitteln, die anscheinend ihren Ursprung hier auf Sprogø hat.«
»Verbrechen welcher Art?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber Sie dürfen herzlich gern die Polizeipräsidentin in Kopenhagen anrufen. Dann bekommen Sie
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