Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
innerhalb von zwei Minuten die für die Genehmigung nötigen Informationen.« Eine gelinde Untertreibung, denn allein ins Vorzimmer der Präsidentin durchgestellt zu werden, konnte ohne Weiteres eine Viertelstunde dauern. Die hatten da verflixt viel um die Ohren.
»Ja, gut, ich glaube, das werde ich tun.«
»Nein, wie schön, da bedanke ich mich aber sehr, das ist wirklich nett«, flötete Carl, schaltete das Funkgerät aus und gab es zurück.
»Er hat uns zehn Minuten gegeben«, sagte er zu der Orgie in Orange. »Könnten Sie uns vielleicht kurz herum führen und uns erzählen, was Sie über die Zeit wissen, als hier auf der Insel die Anstalt für Frauen existierte?«
Von der ursprünglichen Einrichtung sei so gut wie nichts mehr vorhanden, so oft sei dort seither umgebaut worden, erklärte ihnen ihre Führerin.
»Ganz am Ende der Insel lag ein kleines Häuschen namens ›Freiheit‹, wo sich die Frauen eine Woche lang aufhalten durften. Allerdings nur tagsüber. Das waren sozusagen ihre Ferien. Ganz früher war das mal eine Quarantänestation für pestkranke Seeleute gewesen, aber nun ist es abgerissen«, fuhr sie fort und führte sie zu einem gepflasterten Hof, der von allen Seiten umbaut war und in dem ein gewaltiger Baum stand.
Carl sah sich um.
»Wo haben die Mädchen gewohnt?«
Sie deutete nach oben. »Dort, wo die kleinen Dachfenster sind. Aber das ist alles umgebaut worden. Heute finden hier Kongresse und so was statt.«
»Und womit haben sich die Mädchen beschäftigt? Konnten sie das selbst entscheiden?«
Sie zuckte die Achseln. »Das glaube ich nicht. Die bauten Gemüse an, ernteten Getreide, kümmerten sich um das Vieh. Und dort drinnen lag die Nähstube.« Sie deutete auf das Gebäude an der Ostseite. »In Handarbeiten waren die Schwachsinnigen ziemlich gut.«
»Die Mädchen waren schwachsinnig?«
»Ja, jedenfalls heißt es so. Aber alle waren es bestimmt nicht. Wollen Sie eine der Strafzellen sehen? Eine existiert noch.«
Carl nickte. Nur zu.
Sie durchquerten einen Speisesaal mit hohen blauen Holzpaneelen und einem wunderbaren Blick über das Meer.
Die Frau deutete in die Runde. »Hier haben nur die Mädchen gegessen. Das Personal aß nebenan. Da wurde streng getrennt. Und dort hinten, am anderen Ende des Gebäudes, wohnten die Heimleiterin und ihre Stellvertreterin, aber das ist jetzt völlig umgebaut. Kommen Sie nun bitte mit nach oben.«
Über eine steile Treppe ging es in eine weitaus bescheidenere Umgebung. Auf der einen Seite des schmalen Flurs hing noch ein langes Waschbecken aus Terrazzo und auf der anderen befanden sich zahlreiche Türen.
»Die hatten nicht viel Platz, wenn sie tatsächlich zu zweit in einem Zimmer wohnten.« Sie deutete in ein Zimmer mit schrägen Wänden und niedriger Decke und öffnete anschließend die Tür zu einer länglichen Dachkammer, die mit alten Möbeln vollgestellt war und in der reihenweise nummerierte Haken an den Wänden befestigt waren.
»Hier hatten die Mädchen die Möglichkeit, das aufzubewahren, wofür in den Zimmern kein Platz war.«
Dann bat die Orangene sie, wieder auf den Flur zu treten, und zeigte auf eine kleine Tür direkt nebenan, die mit zwei schweren Riegeln versehen war.
»Hier ist also die Strafzelle. Wenn die Mädchen nicht spurten, mussten sie da rein.«
Carl machte einen Schritt durch die niedrige Brettertür und befand sich in einem Raum, der so schmal war, dass man gerade eben auf einer Seite liegen konnte.
»Ja, hier wurden sie einige Tage oder auch länger eingesperrt. Manchmal hat man sie festgeschnallt, und wenn sie widerspenstig waren, gab man ihnen Spritzen. Das war sicher kein Vergnügen.«
Carl hätte noch andere Formulierungen dafür gefunden. Er drehte sich zu Assad um, der mit gerunzelter Stirn dastand und wahrlich nicht gut aussah.
»Assad, alles in Ordnung mit dir?«
Der nickte langsam. »Solche Spuren hier, die hab ich schon mal gesehen.«
Er deutete auf die Innenseite der Tür, wo frische Farbe die tiefen Furchen wohl abdecken sollte.
»Das sind Kratzspuren, Carl, glaub mir.«
Er wankte hinaus und lehnte sich auf dem Korridor an die Wand.
Vielleicht würde er ja doch eines Tages mal anfangen, ein bisschen was von sich zu erzählen.
In dem Moment meldete sich das Funkgerät der Inselführerin.
»Ja«, sagte sie. Binnen Sekunden veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Aha, das werde ich weitergeben.« Als sie das Funkgerät in den Gürtel steckte, sah sie zutiefst verletzt aus.
»Schönen
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