Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
vermutlich sogar als Partei Vorsitzenden.«
»Okay. Und der war also bei Nørvig angestellt?«
»Ja. Bei Nørvig und Sønderskov. Als sie ihre Partnerschaft beendeten, wechselte Caspersen in eine Anwaltskanzlei in Kopenhagen.«
Carl überflog die Seiten. Rose hatte für jeden Fall vier Spalten angelegt. Eine für den Namen des angeklagten Mandanten, eine für den Namen des Geschädigten, eine für das Datum und eine für den Sachverhalt der Anklage.
In der Spalte »Sachverhalt der Anklage« ging es ungewöhnlich oft um den Missbrauch von Intelligenztests und, ganz allgemein, um ärztliche Kunstfehler. Doch der überwiegende Teil der Anklagen war wegen fehlgeschlagener oder unnötiger gynäkologischer Eingriffe erhoben worden. In der Spalte, in der die Geschädigten aufgeführt waren, tauchten sowohl ganz geläufige dänische wie auch ausländisch klingende Nachnamen auf.
»Ich habe mir einige der Fälle etwas gründlicher angeschaut«, sagte Rose. »Hier liegt ohne jeden Zweifel die systematischste Schweinerei vor, die ich je im Leben gesehen habe. Herrenmentalität und Unterschiedsbehandlung in Reinkultur. Wenn das hier nur die Spitze des Eisbergs ist, dann haben sich diese Dreckskerle einer Unmenge von Verbrechen gegen Frauen und ungeborene Kinder schuldig gemacht.«
Sie deutete auf die fünf am häufigsten vorkommenden Namen. Curt Wad, Wilfrid Lønberg und drei weitere.
»Vier von ihnen sind, laut der Website von Klare Grenzen, einflussreiche Parteimitglieder. Der fünfte lebt nicht mehr. Und, meine Herrschaften, was sagen Sie nun?«
»Falls die in Dänemark mitreden dürfen, Carl, dann gibt es Krieg, das verspreche ich dir«, knurrte Assad und scherte sich nicht im Geringsten um das infernalische Gebimmel, mit dem sein Telefon sie an diesem Morgen schon zum zehnten Mal quälte.
Carl warf Assad einen prüfenden Blick zu. Dieser Fall ging Assad mehr an die Nieren als andere Fälle, Gleiches galt für Rose. Ganz klar, beide waren Menschen mit Narben auf der Seele, aber trotzdem erstaunte es Carl, dass sich Assad dermaßen engagierte, dass ihn die Sache offenbar so erschütterte.
»Wenn man Frauen auf eine Insel deportieren kann und damit durchkommt«, fuhr Assad unbeirrt fort, »und wenn man massenhaft gesunde Embryos töten und Frauen sterilisieren kann, wenn man das einfach so kann, dann kommt man mit allem durch. Das denke ich, Carl. Und wenn man daraufhin auch noch im Folketing sitzt, wird es richtig kritisch.« Er sah Carl und Rose mit gerunzelter Stirn an, seine Augenbrauen schienen sich förmlich zu kreuzen.
»Nun hört mal zu, Assad und Rose. Wir ermitteln in erster Linie in fünf Vermisstenfällen, ja? Rita Nielsen, Gitte Charles, Philip Nørvig, Viggo Mogensen und Tage Hermansen. Alle fünf verschwinden etwa zum selben Zeitpunkt und keiner von ihnen taucht je wieder auf. Allein schon das, diese zeitliche Nähe, gibt Grund zu der Annahme, es könne ein Verbrechen vorliegen. Weitere gemeinsame Mosaikstückchen sind möglicherweise Nete Hermansen und die Frauenbesserungsanstalt auf Sprogø. Und dann ist da noch Curt Wad, der mit seinen Aktivitäten unbestreitbar Aufmerksamkeit erregt. Vielleicht sollten wir Curt Wad und seine Arbeit ins Visier nehmen, vielleicht auch nicht. Aber wie auch immer: Unser vorrangiges Ziel ist und bleibt, die Vermisstenfälle aufzuklären. Den Rest können wir ruhig denen vom Polizeigeheimdienst oder vom Nationalen Ermittlungszentrum überlassen. Dieser Fall ist wirklich groß, zu groß für drei Menschen, und er ist gefährlich.«
Es war nicht zu übersehen, dass Assad das nicht schmeckte. »Du hast die Kratzspuren an der Strafzellentür auf Sprogø doch selbst gesehen, Carl! Du hast selbst gehört, was Mie Nørvig über Curt Wad sagte! Du kannst diese Liste hier lesen. Wir müssen den alten Drecksack zur Rede stellen, der Kerl muss sich zu den Schweinereien äußern, die er zu verantworten hat. Mehr hab ich dazu nicht zu sagen.«
Carl hob die Hand. Dass in dem Moment sein Handy klingelte, kam ihm ziemlich gelegen. Dachte er jedenfalls, bis er sah, dass es Mona war.
»Ja, Mona«, sagte er kühler als beabsichtigt.
Ihrer Stimme hingegen fehlte es nicht an Glut. »Ich hab ja gar nichts mehr von dir gehört, Carl. Hast du deinen Schlüssel verloren?«
Carl zog sich ein Stück auf den Flur zurück. »Nein, aber ich wollte nicht stören. Was, wenn sich Rolf noch immer in deinem Schlafzimmer geräkelt hätte?«
Die Pause war nicht wirklich unangenehm, aber traurig war
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