Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
hörte er im Handy ein Flüstern.
»Wir sitzen in der S-Bahn in Richtung Tåstrup. Vielleicht bringt er uns zu seiner richtigen Adresse. Wir haben uns an beiden Enden des Zugs in Türnähe postiert, sodass er uns nicht entwischen kann, das garantiere ich.«
Curt lobte Mikael und wandte sich dann wieder Beate zu. Er legte einen Finger an ihren Hals, wo der Puls noch immer zu spüren war, wenn auch schwach und launisch wie der Tod selbst.
Für einen Moment schloss er die Augen. Schöne Erinnerungen an rosige Wangen und Gelächter konnten alle Sorgen verjagen. Man sollte nicht glauben, dass man jemals so jung gewesen war, dachte er und schlummerte ein.
»Jetzt!«, tönte es aus dem Handy. Curt erwachte mit einem Ruck. »An der Haltestelle Brøndbyøster ist er ausgestiegen. Ich bin mir sicher, dass er auf dem Weg zu Ihnen ist, Curt.«
Ist tatsächlich so viel Zeit vergangen?, dachte er benommen. Er schüttelte sich und richtete sich mit dem Handy am Ohr halb auf. »Haltet Abstand, hier werde ich ihn selbst in Empfang nehmen. Und ihr müsst euch weiterhin unauffällig verhalten, denn die Burschen in der Polizeischule gegenüber spielen draußen Räuber und Gendarm.«
Curt lächelte. Na, dem Kerl würde er ein herzliches Willkommen bereiten.
Er wollte Beate gerade sagen, dass sie etwas Geduld haben müsse, er sei kurz weg, als er sah, dass ihre Augen offen standen und der Kopf etwas nach hinten in den Nacken gekippt war.
Sekundenlang hielt er die Luft an, dann stöhnte er auf. Die geliebten, jetzt matten, toten Augen schielten zur Seite, wo er gelegen hatte, als wenn sie im äußersten Moment den Kontakt gesucht hätten. Und er hatte ihn verschlafen! Er war nicht für sie da gewesen, als sie es gebraucht hätte!
Er fühlte es kommen, fühlte, wie es als schwaches Pulsieren im Zwerchfell begann, sich mit unkontrollierbarer Hast durch den Körper fortpflanzte und im Brustkorb als Krampf und im Hals als gutturaler Laut endete. Sein Gesicht verzerrte sich, so sehr, dass es fast wehtat, und ein lang gezogener, fast unhörbarer Schrei stieg mit seinem Schluchzen auf.
So saß er minutenlang da und hielt ihre Hand. Dann schloss er ihr die Augen, stand auf und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen.
Das Schlagholz, mit dem seine Söhne Tausende von Tennisbällen abgeschlagen hatten, fand er im schmalen Raum neben dem Esszimmer. Abwägend nahm er es in die Hand und befand, dass es massiv genug war. Dann trat er in den Hof und bezog am Ende des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes Posten.
Über die Straße hinweg waren die lauten Rufe der Polizeianwärter zu hören, die ihren Traum, die Schafe von den Böcken zu trennen, hier im Spiel ausleben durften. Das hatte Curt auch vor. Wenn möglich, wollte er Hafez el-Assad am Hinterkopf treffen und die Leiche dann blitzschnell hinterm Haus in Deckung ziehen. Später, wenn es dunkel und auf der Straße still geworden war, sollten ihm die beiden anderen helfen, den Körper in den Geheimraum im Wirtschaftsgebäude zu verfrachten.
Da vibrierte das Handy in seiner Tasche.
»Ja«, flüsterte er. »Wo seid ihr?«
»Wir stehen an der Straßengabelung von Vestre Gade und Brøndbyøstervej. Er ist verschwunden.«
Curt runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Bei der Wohnsiedlung mit den roten Reihenhäusern ist er abgehauen und nicht wieder aufgetaucht.«
»Seht zu, dass ihr herkommt. Aber geht getrennt.«
Er klappte das Handy zusammen und blickte sich um. Hier, in einer Ecke des Hofs, mit der mannshohen Mauer zur Parallelstraße hinter sich, stand er gut. Der Kerl hatte nur eine Möglichkeit, in den Hof zu gelangen, und das war durch die Einfahrt am Wirtschaftsgebäude entlang. Er war bereit.
Fünf Minuten vergingen, dann hörte er in der Einfahrt vorsichtige Schritte. Schritte, die sich über die Platten vorantasteten und Meter für Meter näher kamen.
Curt packte das Schlagholz fester und zog sich ganz in die Ecke zurück. Holte mit Bedacht tief Luft und hielt sie an, bis er einen Kopf erkennen konnte.
Eine Zehntelsekunde, ehe er zuschlug, sprang die Person zurück.
»Ich bin's, Herr Wad«, wisperte eine Stimme, die nicht wie die des Arabers klang.
Dann trat die Gestalt vor. Es war einer der Helfer, die Mikael dann und wann für ihre großen Veranstaltungen anheuerte.
»Idiot!«, zischte Curt. »Komm da weg. Du erschreckst ihn. Raus auf die Straße! Und zwar so, dass er dich nicht sieht!«
Mit klopfendem Herzen stand er eine Weile an seinem Platz und fluchte über die
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