Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
unzurechnungsfähige, sexuell auffällige Psychopathin, ihr hinter dem Waschhaus die Kleidung vom Leib gerissen und sie mit gespreizten Beinen auf den Boden gezwungen habe. Ihre Gegenwehr sei völlig nutzlos gewesen, fügte sie mit bebender Stimme und schamvoll gesenktem Blick hinzu.
»Ich würde deshalb empfehlen, Rita Nielsen für zehn Tage in den Besinnungsraum zu stecken und ihr überdies sämtliche Befugnisse zu entziehen.« Sie beobachtete beim Sprechen den Fingertanz der Vorsteherin und schloss aus deren entsetztem Blick, dass dem sicher entsprochen würde.
»Und grundsätzlich sollten wir erwägen, sie sterilisieren und von hier wegbringen zu lassen. Ihre Fixierung auf den Sexualtrieb ist extrem ausgeprägt, und es steht zu befürchten, dass sie, wenn wir nicht handeln, auf Dauer eine Bürde für die Gesellschaft wird.«
Die Finger der Vorsteherin krümmten sich. Ihr Blick war starr auf Gittes schmutzigen Hals gerichtet.
»Natürlich, Frau Charles«, sagte sie nur und erhob sich.
Rita machte einen unglaublichen Aufstand, aber ihre Anschuldigungen gegen Gitte wurden allesamt zurückgewiesen. Sie war schockiert, dass ihr Manöver nicht nur fehlgeschlagen war, sondern sich im Gegenteil nun gegen sie selbst wendete. In diesen Augenblicken war es ein Vergnügen, Gitte Charles zu sein.
»Selbstverständlich kennst du Gittes Körper, wie du behauptest«, entgegnete die Vorsteherin. »Du bist ja über sie hergefallen. Nein, mein Früchtchen. Abgestumpft und niederträchtig, wie du bist, versuchst du nun, die Situation auf den Kopf zu stellen. Aber mich führst du nicht hinters Licht. Ich weiß, was man von einem Mädchen mit deinen geistigen Defiziten und deiner üblen Vergangenheit zu erwarten hat.«
Die Nachricht von dem Vorfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Noch ehe der Tag um war, wussten alle innerhalb der Anstaltsmauern Bescheid. Rita tobte und brüllte in ihrer Zelle und bekam im Lauf der Tage mehr als eine Spritze. Viele von Gittes Kolleginnen, ja selbst einige der Mädchen rieben sich die Hände.
Rita besaß ein loses Mundwerk, das sie kaum unter Kontrolle hatte. Und so dauerte es, nachdem sie die Strafzelle endlich verlassen hatte, auch nur eine Woche, bis sie wegen irgendeiner Bemerkung schon wieder festgeschnallt in der Zelle lag und wie von Sinnen schrie.
»Nete Hermansen ist ein gutes Mädchen. Sie sollte das Zimmer nicht mit dieser Unperson teilen müssen«, empfahl Gitte der Vorsteherin, woraufhin sie Ritas Sachen abholten und Nete plötzlich ein Zimmer für sich hatte.
Nach alledem sah Nete Gitte mit anderen Augen, und das merkte Gitte schnell. Nete war diejenige, die den Kontakt suchte, naiv und hoffnungsvoll - und aus Gittes Warte überaus erwünscht.
Eines Tages, als sie Kohlensäcke vom Schiff hochschleppen mussten, knickte eines der Mädchen um und verstauchte sich den Fuß. Sie heulte wie ein Hund, der in eine Herde Stiere geraten war, und die Mädchen stürzten herbei, um zu gaffen, obwohl das Personal zeterte und auf sie einschlug. In dem allgemeinen Tumult standen Gitte und Nete auf einmal sehr nahe beieinander.
»Ich bin hier falsch eingewiesen«, flüsterte Nete und blickte Gitte fest an. »Ich bin nicht dumm, und ich weiß genau, dass viele andere hier es auch nicht sind. Und ich bin auch kein liederliches Mädchen, wie sie behaupten. Könnte mein Fall nicht neu verhandelt werden?«
In Gittes Augen war Nete wunderbar. Sie hatte volle Lippen, außerdem einen festen und zugleich biegsamen Körper wie keine sonst auf der Insel. Gitte begehrte sie seit Langem, und jetzt sah sie die Gelegenheit gekommen.
Die Krankenschwester hörte zu, während ringsum geschrien und geschlagen wurde, und das allein genügte, um Nete zu Tränen zu rühren. Da nahm Gitte ihre Hand und führte sie einige Schritte zurück in den Hof. Die Wirkung war unbeschreiblich: Ein Zittern lief durch Netes Körper, als wären Aufmerksamkeit und Berührung der Schlüssel zu allem. Gitte wischte ihr behutsam die Tränen von den Wangen und zog sie langsam mit zu der Moorwiese. An jeder Weggabelung nickte sie in die entsprechende Richtung.
Bis dahin war alles noch vollkommen unschuldig, und keine zehn Minuten später hatte sie das unbedingte Vertrauen des Mädchens gewonnen.
»Ich werde tun, was in meiner Macht steht, aber versprechen kann ich dir nichts«, sagte Gitte.
Nie hatte sie ein so überzeugtes Lächeln auf einem Gesicht gesehen.
Ganz so leicht, wie Gitte es sich vorgestellt hatte, wurde es dann
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