Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Sache mit dem Trinken.«
»Ja, bei einer Weihnachtsfeier, die ein bisschen zu feuchtfröhlich geraten war, hat sie angeblich mit zwei Kollegen gepennt. Brandur, der kleine Puritaner, hat mir damals gesteckt, man sollte ihr möglichst keinen Alkohol anbieten.«
Carl dachte einen Moment wehmütig an Lis, an früher, ehe sie diesen Frank kennengelernt hatte. In ihrem Fall fand er ein bisschen Alkohol bei einer Weihnachtsfeier völlig in Ordnung. Unwillkürlich lächelte er.
»Aber Brandur war garantiert nur eifersüchtig auf die Kollegen, denen Rose ihre sonderbar verdeckte Weiblichkeit offenbart hat, meinst du nicht? Was Rose bei einer Weihnachtsfeier anstellt, ist doch allein ihre Angelegenheit und die der übrigen Betroffenen. Das geht weder Brandur noch mich oder sonst wen was an.«
»Das stimmt, Carl. Von diesen schlüpfrigen Geschichten bei der Weihnachtsfeier wusste ich übrigens gar nichts. Ich weiß nur, dass Rose, als sie Ähnliches bei dem letzten Betriebsfest gemacht hat, sich wieder einmal in Yrsa verwandelt hat. Ich hab gerade mit einigen Kollegen vom City Revier geredet, und alle konnten sich daran erinnern.« Assads Augenbrauen flogen nach oben. Stell dir das mal vor, sollte das sicher bedeuten.
»Jedenfalls war sie nicht Rose, denn sie sprach mit verstellter Stimme und benahm sich auch ganz anders, haben die gesagt. Aber vielleicht war sie auch noch jemand ganz anderes, eine dritte Person, da waren die sich nicht sicher«, schloss er, und die Augenbrauen sanken wieder auf ihren Platz.
Und da sollte man noch gefasst bleiben. Eine dritte Persönlichkeit, oh Gott!
Carl merkte, wie das Donnerwetter, das er Børge Bak zugedacht hatte, innerlich vergrollte. Zu blöd, denn der hätte es verdient.
»Weißt du was darüber, warum Rose so ist?«
»Sie war nicht in einer Klinik, wenn du das meinst, Carl. Aber ich habe die Nummer von Roses Mutter, du kannst sie selbst fragen.«
»Roses Mutter?« Er war nicht dumm, dieser Assad. Ging dem Problem gleich an die Wurzel.
»Gut, Assad! Aber warum machst du's nicht selbst?«
»Weil ...« Er sah Carl bittend an. »Weil ich einfach nicht will. Falls Rose das herausfindet, ist es besser, wenn sie auf dich wütend wird, in Ordnung?«
Carl hob resigniert die Hände. Dieser Tag gehörte ganz offenkundig nicht zu den Tagen, deren Verlauf er selbst bestimmen konnte.
Assad reichte ihm die Nummer, und Carl bedeutete ihm mit einer Geste, dass er nun verduften könne. Dann griff er zum Telefon und wählte. Es war eine der alten Nummern, noch mit einer fünfundvierzig am Anfang. Soweit er wusste, war das in Lyngby oder Virum.
Es war zwar ein Scheißtag, aber immerhin wurde am anderen Ende abgenommen.
»Yrsa Knudsen.«
Carl traute seinen Ohren nicht. »Äh, Yrsa?« Kurz zweifelte er, aber dann hörte er gleichzeitig Rose, die hinten auf dem Flur nach Assad rief. Demnach war sie noch immer auf Arbeit. »Ja, entschuldigen Sie bitte die Störung«, fuhr er fort. »Hier ist Carl Mørck, Roses Chef. Spreche ich mit Roses Mutter?«
»Nein«, das Lachen am anderen Ende der Leitung kam irgendwo aus der Bassregion, »ich bin ihre Schwester.«
Himmel, da gab es tatsächlich eine Schwester, die Yrsa hieß! Die Stimme klang Roses Version von Yrsa ziemlich ähnlich, war aber doch anders.
»Roses Zwillingsschwester?«
»Nein.« Wieder lachte Yrsa. »Wir sind vier Schwestern, aber Zwillinge haben wir nicht dabei.«
»Vier!« Vielleicht war das ein bisschen zu laut gewesen.
»Ja. Rose, ich, Vicky und Lise-Marie.«
»Vier Schwestern ... und Rose ist die Älteste, das wusste ich nicht.«
»Ja, aber uns trennt jeweils nur ein Jahr. Unsere Eltern haben es in einem Rutsch abhaken wollen, aber da keine Jungens dabei herauskamen, schob Mutti irgendwann den Riegel vor.« Hier lachte sie grunzend, und das war wieder ganz Rose.
»Ja, Entschuldigung. Eigentlich habe ich angerufen, um mit Ihrer Mutter zu sprechen. Dürfte ich das? Ist sie zu Hause?«
»Leider nein. Unsere Mutter ist seit über drei Jahren nicht mehr zu Hause gewesen. In der Wohnung ihres neuen Mannes an der Costa del Sol gefällt es ihr offenbar besser.« Hier kam wieder dieser Nasenlaut. Offenbar eine echte Frohnatur.
»Okay, ich komme gleich zur Sache. Kann ich vertraulich mit Ihnen sprechen? Ich meine vertraulich, weil Rose nicht auf Umwegen erfahren soll, dass ich angerufen habe.«
»Nein, das können Sie nicht!«
»Äh, aha. Sie haben also vor, Rose zu erzählen, dass ich angerufen habe? Das täte mir
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