Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
wiedererkennen. Freilich war er älter geworden und auch fülliger, aber der Rest war bedauerlicherweise völlig unverändert. Pomadisierte Haare, und zwar nicht im besten Rock-'n'-Roll-Stil der Fünfziger, sondern mehr wie der Schmierentenor einer argentinischen Seifenoper für minderbemittelte Vorortfrauen. Peinlich, würde Vigga sagen. Dazu kamen noch ein Mafioso-Jackett aus festem glänzendem Stoff und eine Jeans, die weder zum Rest der Montur passte noch zu Ronny selbst. Riesenarsch und dünne Beinchen. Sicherlich attraktiv für eine kokette Signorina aus Neapel, aber nicht für ihn. Auch nicht die spitzen Schuhe mit den Schnallen. Kurz gesagt: too much.
»Ich hab schon bestellt.« Ronny deutete auf zwei leere Bierflaschen.
»Ich gehe davon aus, dass eine für mich war«, sagte Carl, aber Ronny schüttelte den Kopf.
»Noch zwei!«, rief er und beugte sich zu Carl vor.
»Gut, dich wiederzusehen, Cousin.« Er wollte nach Carls Händen greifen, aber der hatte sie rechtzeitig zurückgezogen. Da hatten die anderen Gäste was zum Kommentieren.
Carl sah Ronny tief in die Augen, dann fasste er in zwei Sätzen zusammen, was ihm Børge Bak über Ronnys thailändischen Thekentratsch gesteckt hatte.
»Ja«, sagte Ronny. »Na und?« Der Mann leugnete nicht einmal.
»Du trinkst zu viel, Ronny. Soll ich dir einen Termin im Majorgården besorgen, damit du eine Minnesota-Behandlung bekommst? Wenn du weiterhin in aller Öffentlichkeit herumposaunst, du hättest deinen Vater umgebracht und ich sei dabei gewesen, dann wird es wohl darauf hinauslaufen, dass du auf Kosten des Staates in einem hübschen Gefängnis ganz umsonst entgiftet wirst.«
»Können die doch gar nicht! Der Fall ist ja längst verjährt.« Ronny lächelte die ältere Dame an, die seinen Teller und noch zwei Pilsner brachte. Es gab Stockfisch.
Carl warf einen Blick auf die Speisekarte. Hundertfünfundneunzig Kronen kostete der Spaß. Bestimmt das teuerste Gericht auf der Karte. Ronny durfte gern davon ausgehen, dass er selbst zahlte.
»Danke, die Biere sind nicht für mich«, sagte Carl zur Bedienung und schob beide Flaschen zu seinem Cousin hinüber. Damit erst gar kein Zweifel aufkam, wer die Rechnung übernahm.
Carl wandte sich an Ronny. »Mordfälle verjähren in Dänemark nie«, bemerkte er beiläufig und ignorierte das Zurückzucken der Kellnerin.
»Alter Junge«, sagte Ronny, als sie wieder allein waren. »Man kann doch nichts beweisen. Also immer hübsch mit der Ruhe, ja? Vater war ein Scheißkerl. Kann ja sein, dass er zu dir nett war, aber zu mir war er's nicht, das kannst du mir glauben. Von wegen zum Angeln mitnehmen, das hat er nur gemacht, um den Feind an der Nase herumzuführen und deinem Vater zu imponieren. Er mochte ja gar keinen Fisch. Sobald wir zu den Mädchen auf der Hauptstraße abgehauen sind, hat er sich's in seinem Campingstuhl gemütlich gemacht, eine geraucht und einen zur Brust genommen. Auf den Fisch hat der geschissen. Ach Carl, einige von denen, die er ›gefangen‹ hat«, Ronny zeichnete Gänsefüßchen in die Luft, »die hatte er einfach nur von zu Hause mitgebracht. Wusstest du das nicht?«
Carl schüttelte den Kopf. Das passte überhaupt nicht zu dem Mann, den sein Vater geliebt und von dem er selbst so viel gelernt hatte.
»Das ist Quatsch, Ronny. Die Fische waren frisch gefangen und dein Vater hatte nichts getrunken, das ging aus dem Obduktionsbericht eindeutig hervor. Warum redest du so einen Scheiß?«
Ronny zog die Augenbrauen hoch, aber bevor er antwortete, kaute er erst fertig. »Du bist damals ein naiver Junge gewesen, Carl. Du hast nur das gesehen, was du sehen wolltest, nichts sonst. Und wie ich feststelle, bist du noch immer ein naiver Junge. Wenn du die Wahrheit nicht hören willst, dann bezahl und zieh Leine.«
»Na gut, lass mich die Wahrheit hören. Erzähl mir, wie du deinen Vater umgebracht hast - mit mir im Schlepptau.«
»Du brauchst nur an all die Plakate oben in deinem Zimmer zu denken.«
Was war denn das für eine Antwort? »Was für Plakate?«
Ronny lachte. »Jetzt sag nicht, dass du dich nicht daran erinnerst.«
Carl atmete tief durch. Hatte sich der Mann das Hirn komplett weggesoffen?
»Bruce Lee, John Saxon, Chuck Norris.« Er machte ein paar Karateschläge. »Peng, peng. Enter the Dragon. Fist of Fury. Die Plakate meine ich, Carl.«
»Die Karateplakate? Die hatte ich nicht lange. Sie waren zu dem Zeitpunkt längst wieder verschwunden. Und überhaupt: Was haben sie mit der Sache
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