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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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mit verwischter Signatur bei einem Trödler in der Ecke stand. In ihrer Kindheit in Thorshavn hatte sie nur ihren Namen zu nennen brauchen, um sich als etwas Besonderes zu fühlen, und deshalb hatte sie sich als großes Mädchen geschworen, auch dann nicht auf ihren Namen zu verzichten, wenn ein Mann in ihr Leben träte. Das Kind, das Gitte Charles hieß, war ein selbstbewusstes, aufrechtes Mädchen gewesen, und das sah Gitte, wenn sie heute zurückblickte, immer noch so. Aber alles, was dazwischen lag, war nicht der Rede wert gewesen.
    Wenn der eigene Vater auf einmal bankrott ist und einen verlässt, dann bricht die Welt zusammen und große Erwartungen werden zunichtegemacht. So war es jedenfalls Gitte ergangen.
    Schließlich fanden ihre Mutter, ihr Bruder und sie in einer Wohnung in Vejle, von der aus man weder den Fjord noch den Hafen sah, einen sicheren, wenn auch wenig schmeichelhaften Ersatz für das alte Leben. Schon sehr bald waren sich die drei gleichgültig geworden und jeder suchte für sich allein einen Weg. Weder Mutter noch Bruder hatte sie gesehen, seit sie sechzehn war, und das war nun siebenunddreißig Jahre her. Aber ihr war das nur recht.
    Zum Glück wissen die beiden nicht, was für ein erbärmliches Leben ich führe, dachte Gitte und inhalierte den Rauch ihrer Zigarette. Seit Montag hatte sie nichts mehr zu trinken gehabt, und das machte sie kirre. Nicht, weil sie richtig abhängig war, das war sie nicht. Aber dieser kleine Kick, diese Verschnaufpause fürs Gehirn und das Brennen auf der Zunge hoben sie gewissermaßen kurzfristig aus dem Nichts. Wenn sie Geld hatte - aber das hatte sie am Ende eines Monats nie -, reichte schon eine Flasche Gin, um die Tage zu versüßen. Mehr brauchte sie nicht, also war sie ja wohl keine Alkoholikerin. Sie fand es einfach nur schade, dass sie gerade auf dem Trockenen saß.
    Gitte überlegte, das Fahrrad zu nehmen und bis nach Tranebjerg zu fahren. Vielleicht hatte sie der eine oder andere aus der Zeit, als sie häusliche Pflegedienste angeboten hatte, noch in guter Erinnerung. Vielleicht sprang ja ein Tässchen Kaffee, begleitet von einem Glas Kirschwein oder Likör, dabei heraus.
    Wenn sie die Augen schloss, konnte sie fast den Geschmack auf der Zunge spüren.
    Ja, nur ein Glas von irgendetwas, gewissermaßen, um die Zeit des Wartens auf die Sozialhilfe zu überbrücken. Verdammt, warum musste das so lange dauern.
    Sie hatte versucht, die Sozialhilfe wöchentlich ausbezahlt zu kriegen, aber das hatten die Sozialarbeiter sofort abgelehnt. Würde Gitte das Geld wöchentlich bekommen, hätten sie sie viermal öfter auf der Matte stehen als bei der monatlichen Auszahlung.
    Praktische Geschichte, das sah sie ein. Dumm war sie nicht.
    Sie blickte über die Felder und sah das Postauto von Nordby Kirke zum Maarup Kirkevej kommen. Um diese Jahreszeit war auf der Insel nicht viel los. Die Touristen waren weg, und die Brüder, denen fast alles hier gehörte, widmeten sich wieder ganz ihrem Landmaschinenverleih. Alle anderen warteten nur auf die Fernsehnachrichten und auf das nächste Frühjahr.
    Seit fast zwei Jahren wohnte sie schon in diesem ausgebauten Hof, dessen Besitzer ihr immer noch fremd war. Es war ein einsames Leben, aber Gitte war es gewohnt. In vielerlei Hinsicht war sie die geborene Inselbewohnerin. Die Zeit, die sie auf den Färöern, auf Sprogø und jetzt auf Samsø gelebt hatte, war weit besser gewesen als die Jahre in den großen Städten, wo man sich zwar ständig über den Weg lief, aber doch nichts miteinander zu tun hatte. Nein, Inseln waren für solche wie sie wie geschaffen. Dort ließ sich alles viel leichter kontrollieren.
    Jetzt hielt das Postauto bei ihrem Hof an und der Zusteller stieg mit einem Brief in der Hand aus. Der Bauer bekam nicht oft Post. Er war einer von denen, die sich mit der Reklame vom Lebensmittelladen in Maarup begnügten.
    Sie stutzte. Warf der Briefträger die Post etwa in ihren Briefkasten? Hatte er sich im Kasten geirrt?
    Als der Wagen wieder weg war, zog sie den Morgenrock enger um sich, trippelte in Pantoffeln zum Briefkasten und öffnete ihn.
    Die Adresse war von Hand geschrieben. So einen Brief hatte sie seit Jahren nicht mehr bekommen.
    Erwartungsvoll atmete sie tief ein. Als sie den Umschlag umdrehte, spürte sie vor Überraschung einen Druck im Zwerchfell. Nete Hermansen stand da.
    Sie las den Absender noch zweimal, setzte sich dann an den Küchentisch und tastete nach den Zigaretten. Lange saß sie einfach nur

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