Carlotta, Band 4: Carlotta - Internat und Prinzenball (German Edition)
ich halte in der Zwischenzeit für dich die Angel ins Wasser. Wenn ich was fange, darfst du’s behalten. Einverstanden?“
Lachend schwingt Jonas sich in den Sattel seines Mountainbikes. „Nee, vergiss es. Viel Spaß und herzliches Beileid, Mädels!“, ruft er über die Schulter und winkt, dann ist er hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.
„Der hat’s echt gut“, murrt Manu und setzt sich in Bewegung.
Carlotta stimmt ihr zu. Je näher sie der Gymnastikhalle kommen, desto flauer wird das Gefühl in ihrer Magengrube. Hoffentlich ist wenigstens die Musik erträglich und der Tanzlehrer nett.
„Herzlich willkommen zu unserem Grundkurs!“ Ein drahtiger Typ mit zurückgekämmtem Haar und sonnengebräuntem Gesicht schreitet vor den Mädchen und Jungen auf und ab und freut sich so offensichtlich sie zu sehen, dass Carlotta und Manu ein Kichern kaum unterdrücken können. Sofie runzelt die Stirn und zischt ihnen ein leises „Psst!“ zu, aber das macht es nur noch schlimmer.
Manus Gesicht ist knallrot. Carlotta wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Der Tanzlehrer sieht aus wie ein Pfau und er bewegt sich auch so. Wie soll man da ernst bleiben?
Durch die deckenhohen Fenster fällt Sonnenlicht in die Gymnastikhalle und malt verschwommene Kringel auf den Boden. Carlotta wirft immer wieder sehnsüchtige Blicke hinaus. Hinter der Wiese, von hohen Bäumen halb verborgen, glitzert der See. Ein Schwanenpaar hockt am Ufer und putzt sich das Gefieder. Als plötzlich die Tür aufgerissen wird, zuckt sie zusammen.
„’tschuldigung“, sagt eine Stimme. „Wir hatten noch AG.“
Ein Pulk Jungs schiebt sich polternd in den Raum und stellt sich zu den anderen. Einer von ihnen schaut sich suchend um. Nikolas! Hilfe, was will der denn hier? Unwillkürlich zieht Carlotta den Kopf ein. Sie weiß eigentlich gar nicht, wieso; es passiert einfach.
Als Niko sie entdeckt und winkt, ringt Carlotta sich ein Lächeln ab. Siedend heiß fällt ihr ein, dass er auch in der Mittelstufe ist. Das bedeutet nicht nur, dass ihre Klassen zusammen den Ball organisieren, sondern auch, dass sie zusammen tanzen lernen. Wie konnte sie das nur vergessen?
Carlotta schluckt. Die Vorstellung, Niko aufgrund absoluter Talentlosigkeit beim Tanzen auf die Füße zu treten, löst auf der Stelle einen leichten Fluchtreflex aus, dem sie zu gerne nachkommen würde. Aber alle Türen sind verschlossen. Der Tanzlehrer, seine Assistentin und Frau Berger lassen die Schüler nicht aus den Augen. Keine Chance, sich zu verkrümeln.
Robert Räpple – „Vorne R und hinten Äpple“, wie sich der Tanzlehrer vorstellt – schwärmt davon, wie wunderbar es ist, tanzen zu können. Er geht zu der Musikanlage, die in einem Nebenraum der Halle untergebracht ist. „In diesem Grundkurs befassen wir uns mit Foxtrott, langsamem Walzer, Wiener Walzer, Disco Fox, Rumba, Cha Cha Cha und Jive. Alle diese Tänze sind Teil des offiziellen Welttanzprogramms. Heute beginnen wir mit dem Foxtrott.“
Er legt eine CD in den Player, drückt auf ein paar Knöpfe und huscht in die Halle zurück, wo Fabienne, seine junge Assistentin, schon auf ihn wartet. Fabienne ist gertenschlank und hübsch wie ein Model. Ihre schulterlangen rabenschwarzen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als Herr Räpple sich vor ihr in Positur stellt und leicht verneigt, lächelt sie. Kurz darauf ertönen die ersten Takte eines bekannten Schlagers und das Paar beginnt zu tanzen.
„Ach du Scheiße!“, entfährt es Manu.
Die Jungs pfeifen und klatschen, als das Paar an ihnen vorbeischwebt. Robert und Fabienne verziehen keine Miene – abgesehen von dem unnatürlichen Grinsen, das auf ihren Gesichtern festgefroren zu sein scheint. Carlotta vermutet, dass sie mit diesem Dauerstrahlen ausdrücken wollen, dass sie gerade ganz viel Spaß haben. Sie wendet sich an Manu und Sofie: „Gehört es etwa dazu, dass man die ganze Zeit so blöd guckt?“
„Garantiert!“ Manu gibt ein würgendes Geräusch von sich.
Sofie, die neben ihr steht, schaut dem Paar fasziniert hinterher, das kreuz und quer durch die Halle schwebt und dabei kein einziges Mal aus dem Takt kommt geschweige denn stolpert.
„Mon Dieu!“, haucht sie.
„Das kannst du laut sagen!“, knurrt Manu.
Carlotta kaut nervös auf der Unterlippe. Sie ist sich sicher, vor einer der größten Blamagen ihres bisherigen Lebens zu stehen. Niemals wird sie sich auch nur ansatzweise so schwerelos bewegen können wie diese
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