Carlottas Kerker
Haus?«
»Sicher.«
Ed Baring schaute in den Nebel, der uns mittlerweile erreicht hatte und auch dichter geworden war. Hinzu kam die Dämmerung, die alle Konturen noch zusätzlich auflöste. Es herrschte eine geheimnisvolle Stimmung, als hätte sich ein Tor zur Welt der Geister aufgetan, um etwas aus dieser anderen Dimension zu entlassen.
»Es ist ja nicht mehr weit entfernt, aber ich könnte Ihnen einen Vorschlag machen, wenn Sie bereit sind, einige Schritte zu Fuß zu laufen.«
»Wir hören«, sagte Suko.
Er erklärte uns noch einmal, dass er sich in der Gegend sehr gut auskannte. Dann eröffnete er uns, dass es noch einen Weg gab, der zum Haus führte.
»Man kann auch von der Rückseite aus zu ihm gelangen.«
»Das ist klar«, sagte ich.
»Nehmen Sie es nicht als normal an, Mr. Sinclair. Hier spreche ich von einer besonderen Rückseite. Das Haus liegt zwar in der Höhe, in der wir jetzt stehen, aber an der Rückseite fällt das Gelände ziemlich steil ab. Es endet fast am Wasser. Es gibt dort nur einen recht schmalen Streifen Strand. Und genau dort befindet sich der Zugang, der wichtig ist.«
»Zum Haus?«
»Auch, Mr. Suko.«
»Das müssen Sie erklären.«
Baring wiegte den Kopf. »Ich bin mal in diese Höhle hineingegangen. Zumindest dachte ich, dass es eine Höhle wäre. Irgendwie trifft das auch zu. Dann entdeckte ich einen Stollen, der senkrecht in den Hügel hinein nach oben führt. Ich bin nicht hochgeklettert, obwohl dort sogar Steigeisen in die Wand geschlagen sind. Aber ich habe mir meine Gedanken gemacht, und das sollten auch Sie, meine Herren.«
Ich lächelte, weil ich alles verstanden hatte. »Sie meinen also, dass wir durch diesen Notausgang ins Haus gelangen.«
»Das denke ich. Der Bau ist alt. Als man ihn errichtete, hat man wohl an eine Flucht gedacht und diesen Notausgang gebaut.« Er lächelte und breitete die Arme aus. »Ich will Sie nicht drängen und mich auch nicht in Ihre Pläne einmischen, aber ich denke, dass es eine Möglichkeit für Sie wäre, anders in das Haus zu gelangen. Was Sie allerdings oben erwartet, das weiß ich nicht.«
Suko und ich brauchten nicht lange nachzudenken. Für uns stand fest, dass wir den Weg benutzen würden. Aber ich hatte noch eine Bitte, die ich direkt aussprach.
»Da Sie uns schon darauf aufmerksam gemacht haben, Mr. Baring, wäre es vermessen, Sie zu bitten, dass Sie uns führen?«
Er lachte. »Auf keinen Fall, meine Herren. Ich würde mich sogar darüber freuen.«
»Dann sollten wir es in Angriff nehmen.«
Baring schaute noch auf unsere Schuhe. »Der Weg wird etwas beschwerlich werden, aber ich denke, dass Ihr Schuhwerk ausreicht.«
»Dann los«, sagte ich nur...
***
Carlotta Crane sprang von ihrem Stuhl auf und lachte wild. Sie fuchtelte mit den Armen herum und schrie: »Ja, Lucas, pack sie! Aber töte sie nicht. Wir werden sie noch brauchen!«
Purdy hatte sich nicht mehr halten können. Der Ruck hatte sie mitsamt dem Stuhl nach hinten geschleudert, und während des Falls wurde ihre Kehle aufgeschnitten. Es war ihr nicht mehr möglich, die Balance zu halten.
Sie keuchte, sie würgte, dann schlug sie auf den harten Boden und hatte die Augen weit aufgerissen, während zugleich ihre Zunge aus dem offenen Mund schnellte.
Sie starrte in die Höhe und sah auch etwas, aber sie sah es leider nur verschwommen. Zwei Gesichter tanzten über ihr. Das eine gehörte Carlotta, das andere ihrem Mann Lucas.
Es war ein Gesicht mit einer hohen Stirn und darüber braunem Haar, dicht und lockig. Auch seine Augenbrauen waren wie dichte Striche. Der Mund mit dem Speichel auf den Lippen sah aus wie eine klebrige Wunde, aus der es zudem noch tropfte.
Der Mann hatte sich gebückt. Er hielt die Enden der dünnen Schnur mit beiden Händen fest und zerrte noch immer daran, sodass Purdy weiterhin die Luft abgeschnürt wurde.
Zwar versuchte sie, einzuatmen, doch es gelang ihr nicht. Die dünne Seidenschnur schnitt noch tiefer in ihr Fleisch. Sie hatte dort bereits eine Wunde hinterlassen, die aus einem roten Streifen bestand.
In ihren Ohren erklang plötzlich ein Rauschen, als stünde sie dicht am Strand. Die Gesichter über ihr lösten sich auf, und alles in ihrem Körper schrie nach Luft.
Sie hörte Schreie oder Laute, die auch zu einem Tier gepasst hätten. Der Kerl war wahnsinnig. Wenn er so weitermachte, würde er ihr das Leben nehmen, aber plötzlich hörte sie Carlotta’s laute Stimme, und sie sah noch, wie sie mit ihren Fäusten gegen die Schulter
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