Carlottas Kerker
wieder an das Erlebnis erinnert, das sie im Büro des Studios gehabt hatte.
Die Klaue, das Monster – und jetzt das Brüllen. Es passte alles so verdammt perfekt zusammen.
Sie saß auf dem Stuhl wie auf heißen Kohlen, während Carlotta ihren Aufzug und auch ihren Auftritt genoss. Sie mochte es wohl, so halb nackt dazustehen, und schließlich ließ sie die Arme sinken, um Purdy ein Zeichen mit dem Zeigefinger zu geben.
»Hoch mit dir!«
Die Staatsanwältin streckte ihr die gefesselten Hände entgegen. »Bitte, wollen Sie mich nicht befreien?«
»Nein!«
»Aber...«
»Du würdest versuchen, mich anzugreifen, und genau dem will ich entgehen.«
»Angst hast du also auch!«
»Komm hoch!«
Die Staatsanwältin wusste, dass es nichts brachte, wenn sie sich stur stellte. So fügte sie sich in ihr Schicksal. Obwohl das Brüllen aufgehört hatte, klang es noch immer in ihren Ohren nach. Sie war verkrampft, die Wunde am Hals fing wieder an zu schmerzen, und schon nach dem ersten Schritt hatte sie das Gefühl, auf Watte zu gehen. In ihrem Kopf spürte sie die Stiche, und wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie mit den gefesselten Händen in das Gesicht der anderen Frau hineingeschlagen.
Aber sie traute sich nicht. Außerdem stand die Person zu weit weg. Und so ging sie in dieses hallenartige Zimmer mit der hohen und auch dunklen Decke hinein, um der Person zu folgen, die für sie zu einem Hassobjekt geworden war.
Carlotta Crane sagte jetzt nichts mehr. Mit einer Kopfbewegung deutete sie an, in welche Richtung ihre Gefangene zu gehen hatte, und daran musste sich Purdy halten.
Wieder brüllte die Kreatur. Es klang nicht nur die Wut darin, Purdy kam es auch vor, als könnte es das Untier nicht mehr erwarten, einen Menschen zu bekommen. Es waren wilde Schreie, zugleich bestückt mit jammernden Lauten.
Purdy versuchte es ein letztes Mal. »Ich denke nicht, dass bei mir ein Schock eintreten wird, der mein Leben...«
Die Psychologin lachte dazwischen und rief dann: »Eine Schocktherapie? Hast du noch immer nicht begriffen? Eine wie dich wollen wir nicht! Eine wie dich können wir nicht gebrauchen! Du wirst es nicht erleben, denn du bist eine dem Tod geweihte Person. Nicht mehr und nicht weniger. Lucas wird dich ebenso zerreißen, wie er es mit diesem Eric Paine getan hat, der sich für wer weiß wie toll und groß hielt. Ich denke jetzt, dass du Bescheid weißt und ich mich nicht zu wiederholen brauche.«
Purdy senkte den Kopf. »Ja, ich weiß Bescheid«, flüsterte sie und sorgte dafür, dass ihre Stimme auch genügend schwach klang und dabei sogar zitterte.
Das war Tünche.
Denn zugleich griff sie an!
Denn jetzt war Carlotta direkt in ihrer Nähe und hatte nicht mehr mit einer Attacke gerechnet. So bekam sie den Aufprall voll mit, flog zur Seite, rutschte weg, fluchte und prallte hart auf den Steinboden...
***
Irrtum! Reingelegt! Eine Falle!
Solche und ähnliche Begriffe schossen mir durch den Kopf. Ich konnte mich nicht daran erinnern, mich in meinem Leben schon in einem Menschen so geirrt zu haben.
Suko musste es ähnlich ergehen. Sein Atmen über mir glich mehr einem Stöhnen.
Ich fand die Sprache schnell wieder und schaute noch mal genauer hin. Das Bild hatte sich nicht verändert. Unter uns stand Ed Baring und zielte zu uns hoch. Aus dieser Distanz waren wir leicht zu treffen.
»Sind Sie wahnsinnig?«, fuhr ich ihn an.
»Ja, das bin ich!«, rief er zurück. »Ich bin wahnsinnig nach Carlotta!«
Wäre die Lage eine andere gewesen, ich hätte die Augen verdreht. Darum also ging es. Er hatte die Frau erlebt, er hatte sich in sie verliebt – und mehr als das. Er musste ihr hörig sein, sonst wäre er nicht bereit, über Leichen zu gehen.
Ich musste es versuchen. Reden und ihn von seinem Vorhaben abbringen. »Hören Sie, Mr. Baring. Ich kann ja verstehen, dass Sie sich in Carlotta verliebt haben...«
»Das reicht nicht, Sinclair. Das reicht überhaupt nicht. Ich habe mich nicht in sie verliebt. Nicht nur. Sie ist einfach mehr für mich als nur eine Frau. Sie ist eine Göttin. Ich verehre sie. Carlotta ist einmalig auf der Welt. Sie hat mich bereits erhört, und das werde ich niemals vergessen. Und ich hasse es deshalb ganz besonders, wenn ihr jemand etwas antun will. Hast du das gehört, Bulle?«
»Ja, wir sind Bullen, wie Sie so schön sagten. Können Sie sich vorstellen, was mit Menschen passiert, die Polizisten erschießen?«
»Dazu muss man mich erst fangen.«
»Es ist noch jeder
Weitere Kostenlose Bücher