Carolin - GesamtWerk
umzugehen«, sagte Judith. »Noch nie wurde ich so sehr gedemütigt … Und noch nie habe ich so tiefe Lust gefühlt …«
18Das Abendmahl der Judith
18Das Abendmahl der Judith
Zum ersten Mal in ihrem Leben bekam Judith Ketten angelegt. Eine kurze Fußkette zwang sie zu kleinen Schritten und eine längere Handkette ließ ihr noch genug Bewegungsfreiheit für die Aufgaben, die auf sie warteten; beide Ketten wurden mit einer dritten verbunden, die vorn von ihrem Halsband baumelte, und alle hatten am Ende zierliche Schlösser, die man nur mit einem Schlüssel wieder öffnen konnte. Scheu beäugte sich Judith in den Spiegeln, ihre Hände waren zu Fäusten geballt und es sah aus, als wolle sie vor Scham im Boden versinken. Carolin durfte den Plug aus sich nehmen und einen kurzen, seidig schwarzen Umhang überziehen, der am Hals von einer Schlaufe zusammengehalten wurde, vorn herab auseinanderklaffte und fast gar nichts von ihr verhüllte.
Simon legte die Gerte in ihre Hände und sie mussten ihm beide nach oben folgen. Mühsam nur konnte Judith die niedrigen Stufen erklimmen und leise klirrten bei jedem Schritt die Ketten. Oben kamen sie in ein großes Wohnzimmer mit einer Sitzgruppe aus braunem Leder, einer Essecke mit hohen steifen Stühlen und einem großen schwarzen Schrank ohne Schnörkel und Pomp. Auf dem glänzenden Parkett lag ein flauschiger brauner Teppich, in einer Ecke standen ein riesiger Fernseher und eine Stereoanlage. Eine Glasfront bot Blick auf eine Terrasse und in den Garten, über den sich vom grauen Winterhimmel die Dämmerung senkte. Auch hier oben sorgte eine Fußbodenheizung für warme Temperaturen, in denen die nackte Haut nicht frösteln musste, es sei denn durch das Bangen der Seele.
Carolin legte die Gerte auf dem Esstisch ab und Judith musste ihn decken. Sie holte Teller aus der nahen Küche und stellte sie auf die samten blaue Decke, legte silbernes Besteck daneben, rückte bauchige Wein- und schwere Wassergläser an den rechten Platz, zündete die Kerzen eines sechsarmigen Kandelabers an. Alles war nun gerichtet, nur eines fehlte, die Hauptsache, das Essen. Mussten sie kochen? Nein, mussten sie nicht. Das Essen werde von einem Restaurant gebracht, das auch den Vorbesitzer des Hauses regelmäßig beliefert hatte, erklärte Simon und schaute auf seine Armbanduhr. Es müsse jeden Moment kommen. Kaum hatte er ausgesprochen, erklang ein melodisches Läuten. Simon wies zur Tür, die hinaus in die Diele führte, und schaute Judith an. »Geh, mach auf.« — Entsetzt starrte sie ihn an und auch Carolin war perplex. Wollte er sie wirklich so an die Tür schicken, nackt und in Ketten?
Er lächelte leise. »Nur keine Geniertheit. Es ist für den Lieferanten nichts Neues, er wird keinen seelischen Schaden erleiden.« Na ja, um ihn machte sich auch niemand Sorgen. Simons Lächeln schwand. »An deiner Stelle würde ich es mir nicht noch länger überlegen!« Lieber alles tun, als mit dem Stock geschlagen zu werden … Mit ihren kleinen Schritten ging Judith hinaus in die Diele, begleitet von Simons Ermahnung: »Und du tust, was er von dir will!« Beide schauten ihr nach, bis sie das Zimmer verlassen hatte, dann öffnete Simon die Tür neben dem Schrank und winkte Carolin zu sich.
Neugierig lugte sie in einen kleinen Raum hinein — und kam sich vor wie in einer Stasizentrale. Über einem Schaltpult mit diversen Reglern und Leuchtdioden hingen einige Monitore in Augenhöhe an der Wand und jeder bot Blick in ein Zimmer des Hauses. Man sah die Folterkammer und einen Raum, in dem es drei Zellen mit dicken Gitterstäben und kargen Pritschen gab (wer um Himmels willen war der seltsame Vorbesitzer gewesen, etwa der Marquis de Sade?). Dann gab es noch zwei luxuriös eingerichtete Badezimmer und die große Küche zu bewundern. Drei der Monitore waren ausgeschaltet. Auch die Diele wurde von einer der Kameras beobachtet, die gestochen scharfe Farbbilder lieferten. Man sah einen korpulenten Mann in mittleren Jahren, der einen großen Thermosbehälter aus Edelstahl in Händen trug und Judith mit seinem Blick verschlang. Seine Frage nach ihrem Namen und der Hauch ihrer Antwort klangen aus teuren Lautsprechern, die sogar das leise Klirren der Ketten hörbar machten. Stolz wies Simon rundum. »Toll, nicht? Das Haus ist professionell eingerichtet. Hier lässt sich gutes Geld verdienen.«
So ganz teilte Carolin seine Begeisterung nicht. Durch wen und auf welche Weise er das gute Geld verdienen
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