Caroline
viele Fahrradfahrer.«
Wir schwiegen einen Augenblick. Ich legte ihre Hand auf meinen Mund und küsste ihre Handfläche. Unter der warmen Höhlung schien der Schmerz in meinem Kopf abzuebben. Ich dachte an Bertus, der vielleicht mit dem Fahrrad unterwegs zu Caroline war. Hier in Drenthe lag alles dicht beisammen. Die Großeltern, das Heim, sein Bauernhof. Er konnte höchstens sein Fahrrad an ein Hünengrab lehnen und mit Bus oder Bahn seine Flucht fortsetzen.
»Ich muss hier weg«, murmelte ich.
Sie lehnte sich dicht an mein Ohr. »Das ist mir klar. Ich habe dir was zum Anziehen mitgebracht. Ich hoffe nur, dass das nicht schadet, ich meine, deinem Kopf.«
»Ich kann ja wegen des EEGs nochmal wiederkommen, falls es mir nicht gut geht. Schieb die Tasche unter das Bett und halte mir die Polizei vom Leib. Heute Nacht haue ich ab.«
»Wo ist denn deine Pistole?«
»Sie müsste im Auto sein. Kannst du gegen Mitternacht draußen auf mich warten? Wo sind wir hier eigentlich?«
»Im Bezirkskrankenhaus Assen.«
Sogar das Nachdenken tat weh. Vielleicht hätte ich doch lieber auf die Arzte hören sollen anstatt auf mein durcheinander geschütteltes Hirn, doch Bertus’ Reaktion auf die Fotos lag mir im Magen und womöglich war keine Zeit mehr für ein paar Tage Bettruhe. »Du könntest noch etwas tun, hier ganz in der Nähe. Bertus hat Besuch von einer jungen Frau gehabt. Ich dachte zunächst an Caroline, es hätte zeitlich gepasst, aber laut Bertus war es eine gewisse Helga aus dem Heim, und bestimmt meinte er den Roekenhof. Vielleicht hat sie dort gearbeitet oder arbeitet dort noch immer. Ihren Nachnamen weiß ich nicht. Könntest du das überprüfen?«
Nel bückte sich und schob mit dem Fuß die Plastiktüte mit Kleidung unter das Bett. Wir hörten die Stimme der Krankenschwester über die gedämpften Fernsehgeräusche und das Geschirr- und Instrumenteklappern hinweg. Außer dem Schmerz in meinem Kopf erschien mir alles unwirklich.
»Meine Papiere«, flüsterte ich. »Asvelds Privatnummer ist in meiner Brieftasche, könntest du ihn anrufen? Ich muss so schnell wie möglich zu ihm.«
Nel stand auf, als die Schwester zwischen den Stofftrennwänden erschien. »Ich bin fertig«, verkündete Nel. »Soll ich seine Sachen zum Waschen mitnehmen?«
»Brauchen Sie nicht, die werden hier gereinigt.«
»Wunderbar. Ich hoffe, dass Sie seine Brieftasche vorher rausgenommen haben?«
»So schlau sind wir gerade noch.« Die Krankenschwester trat an mein Bett und zog die Schublade des Nachtschränkchens auf. »Bitte schön.«
In der Schublade lag alles, sogar mein Taschentuch. Nel nahm die Autoschlüssel aus meiner Brieftasche. Sie dankte der Schwester und küsste mich liebevoll auf den Mund. »Ruh dich schön aus, ich komme morgen wieder, mit Weintrauben und leichter Lektüre«, sagte sie im Tonfall einer besorgten Mutter.
Sie grinste die Krankenschwester an. »Kriegt er so ein allerliebstes Mützchen von Ihnen oder soll ich eins von zu Hause mitbringen?«
»Auf jeden Fall müssen Sie gleich noch zur Aufnahme wegen der Daten und den Angaben zur Versicherung.«
Nel ging, und sofort wurde ich wieder vom Schlaf übermannt. Vielleicht würde man mich zum Abendessen wecken. Die Schwester schlug die Decke zurück, zog mein Krankenhausnachthemd hoch und pikte mir in den Po, während ich gerade versuchte meinen mentalen Wecker zu stellen.
Es war sehr still, abgesehen von dem Schnarchen einiger Mitpatienten. Ringsum standen im gelblichen Licht der Nachtbeleuchtung moderne Krankenhausbetten mit Kunststoffgriffen und Instrumentenpulten. Ich dachte einen Moment lang, man habe mich in einen größeren Saal verlegt, bis ich begriff, dass man die Trennwände um mein Bett weggenommen hatte.
Mein Gedächtnis arbeitete nur mit halber Kraft. Ich erinnerte mich nebulös an einen Teller grüne Bohnen mit Hackfleisch und daran, dass mir jemand aus dem Bett und auf die Toilette geholfen hatte. Mein Kopf war nicht mehr bandagiert; ich ertastete ein kleineres verpflastertes Stück Verbandsmull auf einer kahlen Stelle. Möglicherweise setzte ich ohne EEG mein Leben aufs Spiel, doch an die Geschichte mit Bertus erinnerte ich mich noch haargenau. Ich musste hier weg. Allerdings konnte ich mich nicht einfach mit einer Ausrede aus dem Krankenhaus hinausschmuggeln, weil man die Polizei benachrichtigen und mich zumindest so lange festhalten würde, bis die Streifenwagen eintrafen, und auf Szenen nach Wildwestmanier hatte ich keine Lust.
Fünf Betten.
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