Caroline
Verlegenheit schwieg, sondern aus Gewohnheit, als hätten die Gefängnisverhöre ihn gelehrt, dass einen ungefragtes Antworten nur in Schwierigkeiten brachte. Er hatte etwas Durchtriebenes und Berechnendes an sich, aber auch etwas Mitleiderregendes, doch mir war klar, dass ich mir Letzteres vielleicht nur einbildete, weil ich noch immer den Dorftrottel in ihm sah.
»Die Leute hier sind zufrieden mit dir«, sagte ich.
»Bleiben Sie doch sitzen.«
»Das ist dein Platz.«
»Nichts ist meins.«
Diese Bemerkung klang seltsam traurig. Ich ließ mich zurück in den Sessel sinken, hob meine Tasche vom Fußboden auf und stellte sie auf meine Knie. Bertus blieb unangenehmerweise stehen, was mir ein Gefühl der Unsicherheit vermittelte. Ich dachte an die Kinderbibel, öffnete den Reißverschluss meiner Tasche und steckte meine Hand hinein, als könne ich nötigenfalls eine Vorladung oder andere offizielle Papiere daraus hervorziehen. »Du hast es doch gut getroffen«, meinte ich. »Ein eigener Wohnwagen, ein gutes Unterkommen, man kümmert sich um dich. Das gefällt dir doch sicher?«
Sein Gehirn funktionierte gut genug, um einen kausalen Zusammenhang erkennen zu können. »Ich arbeite auch hart.«
»Wieder als Gärtner?«
»Ja, aber ich mache auch viele andere Sachen.«
»Du bist doch Gärtner gewesen? Kannst du dich noch daran erinnern? Im Heim hast du die Hühner und Ziegen versorgt.«
Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an.
»Weißt du noch, wer Denise war?«
Bertus fing an, seine Hände aneinander zu reiben, und flüsterte hoch und gequält: »Das ist vorbei.«
Ich ließ die Finger über die Papiere in meiner Tasche wandern und sagte: »Aber vielleicht ist ja noch was dazugekommen.«
Er starrte meine Tasche an und wirkte aufrichtig verwirrt. »Es war eine Sünde«, flüsterte er.
»Du hast doch vor ein paar Tagen Besuch gehabt?«
»Nein, es war niemand da.« Er schüttelte den Kopf.
»Von einer Frau.«
Er verzog das Gesicht, bis die Erinnerung wiederkam, und seine Augen weiteten sich vor Schreck oder Angst, was genau, konnte ich nicht erkennen. »Ist was mit Helga?«
»Wer ist Helga?«
»Aus dem Heim?« Der Schrecken legte sich, und stattdessen sah ich wieder diese Durchtriebenheit, als er durchschaute, dass ich nicht wusste, wer Helga war und nur auf gut Glück im Trüben fischte.
Ich konnte ihn nur schwer einschätzen, aber es erschien mir sinnvoll, ihn noch ein bisschen weiter aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Ich suche jemanden«, sagte ich und zog aus meiner Tasche ein Foto der jungen Valerie hervor. »Weißt du noch, wer das ist?«
Bertus kam näher heran und beugte sich über das Foto, das ich für ihn hochhielt. Er lief rot an und wurde nervös. »Ihre Schwester.«
»Die Schwester von Denise?«
Er nickte stumm.
»Weißt du noch, wie sie hieß?«
»Walia.«
»Nannte Denise sie so?«
Bertus schwieg und ich fragte mich, wie ich die nächste Frage formulieren sollte. Wir waren hier nicht in einem Vernehmungszimmer mit einem wachsamen Polizeibeamten vor der Tür. Ich wedelte mit dem Foto und suchte währenddessen mit der anderen Hand das zweite, in demselben Format und ebenfalls schwarz-weiß. CyberNel fotografierte am liebsten mit Schwarz-Weiß-Filmen. »Hast du es auch mit Walia getan?«
Er stieß einen rauen Laut aus, etwas zwischen Was? und Häh? und starrte mit offenem Mund das Foto an. Mir blieb jetzt nichts anderes übrig, als weiterzumachen, es ihm einzuhämmern. »Weißt du, was ›schwanger‹ bedeutet? Ein Kind bekommen?« Ich hielt ihm Valeries Foto unter die Nase, das von Caroline daneben und sagte: »Walia wurde schwanger und bekam eine Tochter. Ich glaube, dass du sie schwanger gemacht hast und das deine Tochter ist.«
Bertus starrte wie gelähmt die Fotos an und in seinem Gesicht spiegelten sich abwechselnd die unterschiedlichsten Gefühle wider. Ich sah plötzliches Begreifen, Wiedererkennen und dann eine Grimasse der Wut. Er reagierte blitzschnell und überrumpelte mich vollkommen. Er riss mir das Foto aus der Hand, stieß einen gequälten Fluch aus und flüchtete aus dem Wohnwagen.
»Bertus!«, rief ich und sprang von meinem Sessel auf. »Bleib stehen!«
Ich rannte ihm durch den Wohnwagen hinterher bis in den Flur. Er knallte mir die Tür vor der Nase zu. Ich riss sie auf, sah Bertus zur Scheune flüchten, stolperte über irgendetwas, taumelte seitlich von den Holzstufen und verlor das Bewusstsein, als ich mit dem Kopf gegen einen der Drenther Findlinge
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