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Caroline

Caroline

Titel: Caroline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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gezerrt.«
    Sie schwieg eine Weile. Sie hatte das vorhin so heftig geleugnet, dass ich mich fragte, ob sie noch nie zuvor Zweifel gehegt hatte.
    »Warst du noch Jungfrau?«
    »Nein. Und keine Sekunde lang dachte ich daran, dass ich schwanger sein könnte. Ich wollte nichts lieber, als es so schnell wie möglich zu vergessen. Am anderen Morgen bin ich sofort nach Hause gefahren. Ich wollte nur noch, dass Denise da weggeholt wurde. Aber das habe ich auch nicht geschafft.« Sie sagte wieder ein paar Augenblicke nichts und fügte dann hinzu: »Ich habe sie im Stich gelassen.«
    Sie trank einen zu langen Zug aus ihrem Glas und verschluckte sich. Ich klopfte ihr auf den Rücken. Der Rest war sonnenklar. Sie war schwanger geworden und bekam Caroline. Sie hielt ihre Eltern für ungeeignet, sie ins Vertrauen zu ziehen, und auf den Gedanken, eine Therapie zu machen, kam sie wahrscheinlich gar nicht. Sie heiratete überstürzt und zog fort. Der schwerste Schlag kam zwei Jahre später, als Denise ermordet wurde, wahrscheinlich weil sie sich zum ersten Mal gegen ihren Peiniger und seine Methoden der geistigen und körperlichen Reinigung zur Wehr setzte. Zwei Wochen nach Denises Beerdigung wurde Valerie geschieden, ging auf die Mannequinschule nach Mailand und flüchtete in eine Karriere, kalt und allein, ein Zeitungsblatt im Wind, wie Nel es ausgedrückt hatte. Ich hatte keine Fragen mehr an sie, ich hätte sie nur damit gequält.
    »Hast du Caroline niemals angesehen, wer ihr Vater ist?«
    Valerie schüttelte den Kopf, zögerte. »Ich habe diesen Mann nie mehr wiedergesehen und Caroline war kaum zwei Jahre alt, als ich nach Mailand ging und meine Eltern sie zu sich nahmen. Sie war noch so klein, sie sah niemandem ähnlich, sie war nur …«
    Hässlich? Und später? Als Bertus im Gefängnis saß? In ihrer Vorstellung war Bertus womöglich genauso schuldig wie sie selbst, wenn sie überhaupt je darüber nachgedacht hatte. Vogel-Strauß-Politik.
    Ich stand auf. »Hast du die Postkarte hier irgendwo?«
    Sie wies mit einem Nicken auf ein Wandtischchen. Blaue Iris. Poststempel Utrecht, eine Woche alt. Die Handschrift wirkte gezwungen, als sei der Text Buchstabe für Buchstabe niedergeschrieben worden, um ihn lesbar zu machen. Hi, bin zu Besuch bei einer Freundin, nimm dir in Mailand auch mal Zeit für ein gutes Buch! Karel.
    »Ist das ihre Handschrift?«
    »Natürlich. So schreibt sie, wenn sie sich große Mühe gibt.«
    »Was meint sie mit der Bemerkung über das gute Buch?«
    Valerie zuckte mit den Schultern. »Ich lese nicht so gern, ich habe auch zu wenig Zeit dafür. Ich glaube, das verübelt sie mir.«
    Ich steckte die Karte in meine Tasche. »Kennst du eine Freundin von ihr, die in Utrecht wohnt?“
    »Nein. Vielleicht eine Schulkameradin.«
    »Hatte Caroline viel Bargeld bei sich?«
    »Sie besitzt eine Kreditkarte.«
    »Die hat sie aber seit ihrem Verschwinden nicht benutzt.«
    Sie hob den Blick. »Woher weißt du das?«
    »CyberNel kann so etwas überprüfen. Sie antwortet auch nicht auf ihre E-Mail, obwohl sie ihren Computer mitgenommen hat.«
    »Vielleicht …«
    »Sag mir Bescheid, sobald sie wieder zurück ist«, sagte ich. »Und du wirst bei Gelegenheit in Assen eine Aussage machen müssen.«
    »Was für einen Sinn hat das noch?«, fragte sie bedrückt.
    »Dieser Mann hat Denise ermordet und dich vergewaltigt. Willst du ihn ungeschoren davonkommen lassen?«
    Sie schaute mich an und seufzte. Sie hatte ihr Herz erleichtert, aber das hatte nicht viel verändert, weil ihr ganzes Leben auf einer stillschweigend neu geschriebenen Vergangenheit beruhte. Und in dieser schön gefärbten Scheinwelt war die Tatsache, dass ein totgeschwiegener Vater durch einen anderen ausgetauscht wurde, nichts weiter als eine Marginalie.
    »Ich möchte diese ganze Sache vergessen«, sagte das Mannequin ohne Vergangenheit.
    »Ich nicht«, erwiderte ich.

 

8
     
     
    »Max«, flüsterte Nel eindringlich. »Wach auf!«
    Wir lagen aneinander gekuschelt in unserer warmen Schlafhöhle. Ich blinzelte gegen das Sonnenlicht hinter den gelben Gardinen an. Draußen grummelte ein Gewitter. »Was ist denn?«
    »Ein Bulldozer? In unserer Einfahrt? Sollten wir nicht mal nachschauen gehen?«
    Das ›unserer‹ klang, als habe sie sich daran gewöhnt. »Lass uns lieber liegen bleiben«, meinte ich. »Wie spät ist es?« Dem Sonnenstand nach zu urteilen musste es zwischen acht und neun Uhr an einem schönen Septembermorgen sein.
    »Vielleicht kommen die unseren

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