Caroline
der anderen Seite des Raumes vor dem Wohnzimmersofa. »Max«, sagte sie tadelnd. »Ich habe nicht mit dir gerechnet und ich habe noch sehr viel zu tun.«
Sie gab mir nicht die Hand, daher ließ ich auch meine dort, wo sie war. »Ich muss etwas mit dir besprechen, was mit deiner Vergangenheit zu tun hat, und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass du dich lieber unter vier Augen darüber unterhalten möchtest.«
Der Anwalt stand finster daneben. Sein Jackett hing über der Lehne des weißen Ledersofas. »Ich habe vor Remco keine Geheimnisse«, sagte sie.
»Es geht um den Roekenhof.«
Valerie erstarrte und tastete mit der Hand ins Leere, als suche sie Halt. Sie sank auf das Sofa nieder und warf Donkers einen peinlich berührten Blick zu. »Remco, es tut mir Leid …«
»Wir wollten doch keine Geheimnisse voreinander haben«, sagte Remco wie ein gekränktes Kind.
»Ich rufe dich später an, okay?«
Donkers nickte mit verkniffenen Lippen und nahm sein Jackett vom Sofa. »Morgen früh um neun«, sagte er und ging mit großen Schritten davon. Ich unterdrückte eine bissige Bemerkung und wartete, bis ich die Haustür zuklappen hörte.
»Valerie, es geht um den Mörder deiner Schwester«, sagte ich dann.
Sie saß reglos auf dem Sofa. Ich ging hinüber zur weißen Bar, fand Gläser und eine angebrochene Flasche kostbaren Hine d’Antique und trug alles zum Marmortisch. Ich setzte mich ihr gegenüber, schenkte Cognac ein und schob eines der Gläser über den Marmor. Ich trank einen Schluck und dachte an die Vorteile, die Geld und guter Geschmack mit sich brachten.
»Der Mann sitzt doch im Gefängnis?«, fragte Valerie tonlos.
»Bertus Tons ist tot. Aber er war nicht der Mörder. Und er war auch nicht der Vater von Caroline.«
Ich sah, wie sie in Panik geriet. »Wovon redest du da? Ich kann dir nicht helfen …«
»Du brauchst mir nur zu erzählen, was an jenem Abend oder in jener Nacht geschehen ist.«
Sie stockte. »In welcher Nacht?«, flüsterte sie.
»Mehr als zwei Jahre vor dem Tod von Denise. Du warst achtzehn, standest kurz vor dem Schulabschluss. Du hast sie an jenem Samstag im Roekenhof besucht. Du hast dort übernachtet, das tatest du öfter. Am nächsten Tag kamst du völlig aufgelöst nach Hause und verlangtest von deinen Eltern, Denise sofort dort wegzuholen. Stattdessen wolltest du dich um sie kümmern. Deine Eltern taten das als eine deiner Launen ab. Du konntest nicht für Denise sorgen, du stecktest mitten in deinen Abschlussprüfungen und strebtest eine Karriere an. Aber es war keine Laune, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie reichte nach dem Glas und trank einen Schluck Cognac. Ihre Hand zitterte. »Der Pfarrer behauptete, dass der Gärtner, Bertus, Denise sexuell missbrauche und dass er das noch mit weiteren Heimbewohnerinnen täte.«
»Dominee Schamhart?«
Sie nickte.
»Hast du nie daran gezweifelt? Ob es tatsächlich Bertus war?«
Verwirrt hob sie den Blick. Sie stellte ihr Glas ab, eine Geste, hinter der sie sich versteckte.
»Du bist Bertus doch öfter begegnet? Du hast ihn mit Denise zusammen gesehen. Denise liebte ihn. Eine frühere Betreuerin sagte, Denise und Bertus seien so etwas wie Romeo und Julia gewesen. Jetzt komm schon, Valerie. Was ist damals genau geschehen?«
»Ich kann nicht darüber sprechen«, sagte sie tonlos.
»Bertus ist tot und der Mörder von Denise läuft frei herum. Du bist ihre Schwester. Walia. Ich brauche dich und ich brauche Caroline.«
»Caroline?«, fragte sie erschrocken.
»Du hast doch bestimmt schon mal von Gentests gehört?«
»O nein!« Sie machte ein entsetztes Gesicht, ließ dann den Kopf hängen und sank seitlich gegen das Sofa. Sie verbarg das Gesicht in den Händen und fing an zu weinen. Ich ging um den Tisch herum, setzte mich neben sie und klopfte ihr auf den Rücken. Sie blieb steif sitzen, aber rückte nicht von mir ab.
»Ich werde versuchen dich zu schützen«, sagte ich beruhigend. »Der Richter wird schon verstehen, dass du es schwer genug gehabt hast, und man wird dich unter Ausschluss der Öffentlichkeit anhören. Niemand hat ein Interesse daran, dir Schwierigkeiten zu bereiten. Valerie? Du warst kaum achtzehn. Du konntest nichts tun und du konntest unmöglich vorhersehen, was zwei Jahre später mit Denise geschehen würde.«
Sie nickte schluchzend. Sie war eine erwachsene Frau, wirkte jetzt aber wie ein untröstliches Kind. Ich hatte Mitleid mit ihr. Ich wusste, was in ihr vorging. Schuld, Reue. Ich stand auf, fand
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