Carre, John le
ihm in der Schlange am
Schalter standen, wußte er, daß es jetzt soweit war. Es gibt ein Kleidungsstück,
das ein Beschatter weder wechseln kann noch will, schon gar nicht bei naßkaltem
Wetter, und das ist sein Schuhwerk. Von den beiden Paaren, die sich am Schalter
seinen Blicken darboten, erkannte Jim das eine wieder: pelzbesetzte
Plastikstiefel, schwarz, mit Reißverschluß an der Außenseite und diesen dicken
braunen Synthetiksohlen, die im Schnee quietschen. Er hatte sie an diesem
Vormittag schon einmal gesehen, in der Sterba-Passage; die Frau, die den
Kinderwagen an ihm vorbeischob, hatte sie unter einem anderen Mantel getragen.
Von da an vermutete Jim nichts mehr. Er wußte, genau wie Smiley gewußt hätte.
Am Zeitungsstand kaufte Jim sich eine Rude Pravo und stieg
in den Zug nach Brunn. Wenn die ihn hätten festnehmen wollen, dann wäre es
schon passiert. Sie mußten hinter den Nebenlinien her sein: das heißt, sie
folgten Jim, um seine Verbindungsleute dingfest zu machen. Es hatte keinen
Sinn, sich über das Warum den Kopf zu zerbrechen, aber Jim vermutete, daß die
Hajek-Papiere hochgegangen waren und daß sie die Falle schon aufgestellt
hatten, als er den Flug buchte. Solange sie nicht wußten, daß er die
Hajek-Papiere ins Klo gespült hatte, war er noch immer im Vorteil; und für
kurze Zeit war Smiley wieder im besetzten Deutschland, in seinem einzigen
Einsatz als Außenagent, ein Leben in ständiger Angst, jeder Blick eines Fremden
schien bis auf die Haut zu gehen. Er hätte ursprünglich den Zug um dreizehn Uhr
acht benutzen sollen, der in Brunn um sechzehn Uhr siebenundzwanzig ankam. Er
fiel aus, und Jim nahm einen wunderschönen Personenzug, einen Sonderzug zum
Fußball-Match, der an jeder zweiten Laterne hielt, und jedesmal vermeinte Jim,
seine Wachmannschaft herauspicken zu können. Ihre Qualität war
unterschiedlich. In Chocen, einem elenden Kaff, stieg er aus, kaufte sich eine
Wurst, und da standen nicht weniger als fünf, alles Männer, über den Bahnsteig
verteilt, Hände in den Taschen, und taten so, als plauderten sie miteinander
und machten sich verdammt lächerlich. »Wenn's etwas gibt, was einen guten
Beschatter von einem schlechten unterscheidet«, sagte Jim, »dann ist es die
sanfte Kunst, alles ganz überzeugend wirken zu lassen.«
In Switawi
kamen zwei Männer und eine Frau in sein Abteil und unterhielten sich über das
große Match. Nach einer Weile beteiligte Jim sich an ihrem Gespräch: er hatte
in seiner Zeitung alles darüber gelesen. Es war ein Club-Rückspiel, und alle
Leute waren schon ganz verrückt. Bis Brunn hatte sich nichts Neues mehr
ereignet, er stieg also aus und schlenderte durch Geschäfte und belebte Straßen,
so daß sie ihm dicht auf den Fersen bleiben mußten, um ihn nicht zu verlieren.
Er wollte
sie in Sicherheit wiegen, ihnen beweisen, daß er nichts ahnte. Er wußte jetzt,
daß er das Ziel eines, wie Toby es nennen würde, großen Schlemm war. Die
Fußgänger arbeiteten in Teams zu je sieben. Die Autos wechselten so oft, daß er
sie nicht zählen konnte. Die Leitung der Aktion lag bei einem schäbigen grünen
Lieferwagen, der von einem Schlägertyp gefahren wurde. Der Lieferwagen hatte
eine Rundantenne, und hoch am Heck war mit Kreide ein Stern aufgemalt, an einer
Stelle, die ein Kind nicht erreichen konnte. Die Autos, die er identifizieren
konnte, hatten als gegenseitiges Erkennungszeichen eine Damenhandtasche auf dem
Handschuhbord und eine heruntergeklappte Sonnenblende über dem Beifahrersitz.
Vermutlich gab es auch noch andere Zeichen, aber diese beiden genügten Jim. Aus
Tobys Erzählungen wußte er, daß solche Einsätze bis zu hundert Leuten
erforderten und dennoch ergebnislos verliefen, wenn das Wild plötzlich einen
Haken schlug. Deshalb haßte Toby sie.
Am
Hauptplatz von Brunn gibt es einen Laden, der rein alles verkauft, sagte Jim.
In der Tschechoslowakei ist das Einkaufen im allgemeinen eine Plage, weil jeder
der staatlichen Industriezweige seine eigenen Verkaufsstellen hat, aber dieses
Geschäft war neu und recht ansehnlich. Er kaufte Spielsachen, einen Schal,
Zigaretten und probierte Schuhe an. Er nahm an, daß seine Beschatter noch
immer auf seine Kontaktperson lauerten. Er klaute eine Pelzmütze und einen
weißen Plastikregenmantel und eine Tragetasche, um beides hineinzustecken. Er
trieb sich in der Herrenabteilung lange genug herum, um sich zu vergewissern,
daß die beiden Frauen, die das vorderste Paar bildeten, noch immer hinter ihm
her
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