Carre, John le
Esterhase, sie alle hatten
schweigend jenes unausgesprochene Halbwissen geteilt, von dem sie gehofft
hatten, es werde vorübergehen wie ein Leiden, wenn es nur niemals eingestanden,
niemals diagnostiziert würde. Und Ann? Hatte Ann es gewußt? War dies der
Schatten gewesen, der an jenem Tag auf den Klippen Cornwalls über sie beide
gefallen war?
Das also
war Smiley, wie er jetzt so dastand: ein fetter, barfüßiger Spion, wie Ann
sagen würde, betrogen in der Liebe und ohnmächtig im Haß, im Dunkeln lauernd,
in der einen Hand eine Pistole und in der anderen ein Stück Schnur. Dann ging
er auf Zehenspitzen, noch immer mit gezückter Pistole, an seinem Leitseil
zurück in die Spülküche und bis zum Fenster, von wo aus er fünf kurze
Lichtblitze in rascher Folge signalisierte. Er wartete, bis er die Antwort
erhalten hatte, und kehrte auf seinen Lauscherposten zurück.
Guillam
rannte in solcher Eile den Treidelpfad entlang, daß die Taschenlampe in seiner
Hand wilde Sprünge machte, bis er eine niedrige Bogenbrücke und eine
Eisentreppe erreichte, die im Zickzack zur Gloucester Avenue hinaufführte.
Droben war das Gitter geschlossen und er mußte hinüberklettern, wobei er sich
einen Ärmel bis zum Ellbogen aufschlitzte. Lacon stand an der Ecke der Princess
Road, er trug seinen alten, derben Mantel und in der Hand eine Aktentasche.
»Er ist
da. Er ist gekommen«, keuchte er. »Er hat Gerald erwischt.«
»Ich möchte
kein Blutvergießen«, warnte Lacon. »Es muß in aller Stille erledigt werden.«
Guillam
gab sich nicht die Mühe, zu antworten. Zehn Meter entfernt wartete Mendel in
einem Geheimdienst-Taxi. Sie fuhren zwei Minuten, nicht ganz so lang, und
ließen das Taxi kurz vor der Steigung halten. Guillam hatte Esterhases
Türschlüssel bei sich. Bei Hausnummer 5 stiegen Mendel und Guillam über das
Gitter, um kein Geräusch zu riskieren, und hielten sich auf dem Rasenstreifen.
Guillam blickte sich im Gehen um und glaubte einen Augenblick im
gegenüberliegenden Hauseingang eine lauernde Gestalt zu sehen, ob Mann oder
Frau konnte er nicht sagen; aber als er Mendels Aufmerksamkeit auf die Stelle
lenkte, war sie leer, und Mendel befahl ihm ziemlich barsch, er solle sich
beruhigen. Die Lampe vor dem Eingang brannte nicht. Guillam ging zur Tür,
Mendel wartete unter einem Apfelbaum. Guillam steckte den Schlüssel hinein,
spürte, wie das Schloß nachgab. Du verdammter Narr, dachte er triumphierend,
warum hast du den Riegel nicht vorgeschoben? Er schob die Tür einen Spalt auf
und zögerte. Er atmete langsam, füllte die Lungen zum Angriff. Mendel tat einen
weiteren Sprung nach vorn. Auf der Straße gingen zwei Jungen vorbei, sie
lachten laut, weil sie sich in der Nacht fürchteten. Noch einmal blickte
Guillam sich um, aber die Luft war rein. Er trat in die Diele. Seine
Wildlederschuhe quietschten auf dem Parkett, in der Diele lag kein Teppich. An
der Tür des Wohnzimmers lauschte er so lange, bis endlich die Wut in ihm
Oberhand gewann. Seine ermordeten Agenten in Marokko, seine Verbannung nach
Brixton, die tägliche Sinnlosigkeit seiner Arbeit, während er täglich älter
wurde und die Jugend ihm durch die Finger rann; die graue Eintönigkeit, die ihn
umschloß; seine nachlassende Fähigkeit zur Liebe, zum Genuß, zum Lachen; das
ständige Abbröckeln der einfachen, heroischen Grundsätze, nach denen er leben
wollte; die Grenzen und Entsagungen, die er sich im Namen schweigender
Pflichterfüllung selber auferlegt hatte; das alles konnte er nun in Haydons
überheblich lächelndes Gesicht schleudern. Haydon, einst sein Beichtvater,
Haydon, immer zu einem Scherz, einem Schwatz und einer Tasse Kaffee zu haben;
Haydon, ein Vorbild, nach dem er sein Leben aufgebaut hatte. Mehr, viel mehr.
Jetzt, da er es sah, wußte er es. Haydon war mehr gewesen als sein Vorbild, er
war seine Inspiration gewesen, der Fackelträger eines gewissen überholten
Romantizismus, der Inbegriff einer britischen Berufung, die - allein schon weil
sie vage und voller Vorbehalte und schwer zu definieren war — Guillams Leben
bis jetzt einen Sinn gegeben hatte. In diesem Augenblick fühlte Guillam sich
nicht nur verraten, sondern verwaist. Seine Zweifel, seine Ressentiments, die
sich so lange Zeit nach außen, gegen die reale Welt gerichtet hatten - gegen
seine Frauen, seine mißlungenen Liebschaften, stürzten sich jetzt auf den
Circus und den trügerischen Zauber, der sein Glaubensbekenntnis gewesen war.
Mit aller Kraft stieß er die Tür auf und
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