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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
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fadenscheinigen Anzug.
Vielleicht hatte er deshalb eine so scharfe rücksichtslose Gangart
angeschlagen, daß jeder Schritt ihn ein Stück weiter über Smiley hinausbrachte
und er ständig innehalten und - Schultern und Ellbogen angehoben -, warten
mußte, bis der kleinere Mann aufgeholt hatte. Dann legte er sofort wieder los
und gewann aufs neue Vorsprung. Auf diese Weise brachten sie zwei Runden hinter
sich, bis Lacon das Schweigen brach. »Als Sie vor einem Jahr mit einem
ähnlichen Vorschlag zu mir kamen, habe ich Sie leider hinausgeworfen. Ich nehme
an, ich sollte mich entschuldigen. Ich war nicht auf der Höhe.« Angemessenes Schweigen
herrschte, während er sein Pflichtversäumnis erwog. »Ich gab Ihnen Anweisung,
Ihre Nachforschungen einzustellen.«
    »Sie
sagten, es sei Amtsanmaßung«, sagte Smiley betrübt, wie in Erinnerung an den
gleichen Trauerfall.
    »Habe ich
diesen Ausdruck gebraucht? Großer Gott, wie schwülstig!«
    Vom Haus
her hörte man Jackie noch immer schreien.
    »Sie
hatten nie welche, wie?« quäkte Lacon plötzlich und hob lauschend den Kopf.
    »Wie
bitte?«
    »Kinder.
Sie und Ann.«
    »Nein.«
    »Neffen,
Nichten?«
    »Einen
Neffen.«
    »Ihr
eigener?«
    »Anns
Neffe.«
    Vielleicht
bin ich nie von hier weggegangen, dachte er und blickte um sich, auf die
wuchernden Rosen, die zerbrochenen Schaukeln und morastigen Sandgruben, das
ungepflegte rote Haus, das im Morgenlicht so roh wirkte. Vielleicht sind wir
noch vom letzten Mal da. Lacon rechtfertigte sich aufs neue: »Ich gebe zu, daß
ich Ihren Motiven nicht hundertprozentig traute. Es ging mir durch den Kopf,
daß Control Sie darauf angesetzt haben könnte, wissen Sie. Um sich an der Macht
zu halten und Alleline nicht zum Zug kommen zu lassen«, und wieder rannte er
los, mit langen Schritten, abgewinkelten Handgelenken.
    »O nein,
ich garantiere Ihnen, daß Control überhaupt nichts davon wußte.«
    »Das ist
mir jetzt klar. Damals nicht. Es ist nicht ganz einfach zu entscheiden, wann
man euch trauen darf und wann nicht. Sie haben ganz andere Maßstäbe, nicht
wahr? Ich meine, notwendigerweise. Ich akzeptiere sie. Ich will hier nicht
richten. Schließlich haben wir alle das gleiche Ziel, wenn auch unsere Methoden
verschieden sind« - er setzte über einen Viehgraben. »Einmal hörte ich jemanden
sagen, Moral ist Methode. Sind Sie auch dieser Meinung? Wahrscheinlich nicht.
Sie würden vermutlich sagen, die Moral sei durch das Ziel definiert. Nur, daß
es schwer zu sagen ist, welche Ziele man wirklich hat, besonders wenn man Brite
ist. Wir können von euch Leutchen nicht erwarten, daß ihr die Politik für uns
festsetzt, wie? Wir können euch nur bitten, sie zu schützen. Habe ich recht?
Knifflige Sache das.« Smiley, der keine Lust mehr hatte, hinter ihm herzujagen,
setzte sich auf eine rostige Schaukel, wickelte den Mantel enger um sich und
wartete, bis Lacon endlich zurückstelzte und sich neben ihm niederließ. Eine
Weile schaukelten sie gemeinsam sanft im Rhythmus der ächzenden Federn.
    »Wie zum
Teufel ist sie auf Tarr verfallen«, brummte Lacon schließlich und ließ die
langen Finger knacken. »Von allen Menschen auf der Welt ausgerechnet den als
Beichtvater zu wählen, der so ziemlich der unpassendste sein dürfte.«
    »Ich
fürchte, diese Frage werden Sie einer Frau stellen müssen,
    nicht
uns«, sagte Smiley und fragte sich wieder einmal, wo Immingham sein mochte.
    »Wahrhaftig«,
sagte Lacon mit übertriebener Betonung, »ein vollständiges Rätsel, das Ganze.
Um elf Uhr bin ich beim Minister. Ich muß ihn ins Bild setzen. Ihren
Parlamentsvetter«, fügte er als gezwungenen vertraulichen Scherz hinzu.
    »Eigentlich
Anns Vetter«, berichtigte ihn Smiley im gleichen abwesenden Tonfall. »Um
etliche Ecken, sollte ich hinzufügen, aber trotz allem ein Vetter.«
    »Und Bill
Haydon ist auch Anns Vetter? Unser vornehmer Direktor von London Station.« Ach
dies hatten sie schon einmal durchgespielt.
    »Auf
andere Weise, ja, ist Bill auch ihr Vetter.« Ziemlich überflüssig fügte er
hinzu: »Sie kommt aus einer alten Familie mit einer starken politischen
Tradition. Im Laufe der Zeit hat sie sich ziemlich ausgebreitet.«
    »Die
Tradition?« Lacon liebte es, auf Doppeldeutigkeiten hinzuweisen. »Die
Familie.«
    Hinter
diesen Bäumen, dachte er, fahren Autos vorbei. Hinter diesen Bäumen liegt eine
ganze Welt, aber Lacon hat seine rote Burg und sein christliches Pflichtgefühl,
das ihm keinen anderen Lohn verspricht als einen Adelstitel, die

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